Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
indessen jener den »giftigen Ton« beklagte und ein Stück faulen Sumpf bewunderte. In dieser Weise, die Natur zu ergreifen, war er über das malerische Verständnis hinaus zum allgemeinen Dichterischen zurückgelangt, welches vom Anfang an in jedem Menschen liegt, und dieses zeigte ihm auch noch etwas Schönes, wo der Maler darbte.
Deswegen ließ Heinrich auch jetzt seine Augen schweifen, links und rechts vom Wege, und guter Laune wurde in einem ansehnlichen Dorfe haltgemacht.
Der arme fahrende Schüler sah sich an den runden Sondertisch des Gasthauses versetzt und begann eben, still auf seinen Teller schauend, an die heimatliche Mittagstafel zu denken, als ein herrschaftlicher Wagen mit Wappen und Bedienten heranfuhr und seine Inhaber unter großem Geräusch der Wirtsleute in die Stabe traten. Es waren eine schöne Dame von etwa dreißig, ein noch schöneres Mädchen von funfzehn Jahren und ein großer feiner Herr im besten Mannesalter, welcher von dem Wirt untertänigst Herr Graf genannt wurde.
Diese Umstände waren hinreichend, um für den unerfahrenen Heinrich ein kleines Abenteuer zu sein. Obgleich er sich gegen allen ungebührlichen Respekt gewappnet fühlte, konnte er doch nicht umhin, einige neugierige Blicke nach diesen überbürgerlichen Wesen hinzuwerfen, von denen er noch keines in der Nähe gesehen hatte und die jetzt am gleichen Tische Platz nahmen.
Das nahe Rauschen und Knistern der seidenen Gewänder machte ihn befangen und behaglich zugleich, und während er sich mit seinen Händen und seinem Eßwerkzeuge möglichst enge zusammenhielt, hätte er sich doch um keinen Preis ganz von seinem Plätzchen hinweglocken lassen; denn wie zwei Frühlingssonnen ruhten die offenen kindlichen Augen des jungen Mädchens auf ihm. Er wagte auch bald das zweite Paar Blicke auszusenden, welche diesmal auf die ältere Dame trafen, wie sie ihn mit einem eiskalten, merkwürdigen Gesichte ansah und gar nicht zu bemerken schien, daß er sie ebenfalls betrachtete. Nachdem sie den rotgewordenen Heinrich eine Weile angesehen hatte, wandte sie ihre Augen wieder von ihm, wie wenn sie nur auf einem Krug oder einem Stuhl geruht hätten, ohne irgendeinen jener feinen Übergänge, welche artigen und rücksichtsvollen Leuten in solchen Fällen schnell zu Gebote stehen. Diese Augengrobheit bewirkte, daß er von nun an nicht mehr aufsah und sich bestrebte, so bald als möglich vom Tische zu kommen. In diesem Bestreben schien ihn ein allerliebstes Bologneserhündchen unterstützen zu wollen, welches, auf dem Tische umherlaufend, plötzlich vor seinem Teller ein Männchen machte. »Ach, sieh den kleinen Schelm!« rief die Dame mit kindlicher Freude; Heinrich hielt dem Tiere unwillkürlich ein Stückchen Kuchen hin, da rief sie dasselbe sogleich zurück, und als es nicht kam, ergriff sie es unwillig beim Pelze und setzte es vor sich hin. »Willst du wohl dableiben, du Landstreicher?« sagte sie, als der Graf hinzutrat und bemerkte »Aber, Emilie, tu doch den Hund vom Tisch, wir sind ja nicht allein!« Emilie aber entgegnete mit einer unnachahmlichen Unbefangenheit »Ach Gott, das arme Tierchen wird doch niemanden genieren?« Jetzt erst merkte Heinrich die neue Ungezogenheit und wollte diese übermütige Person heimlich mit irgendeinem Schimpfworte bedienen, als die Kleine das Hündchen auf den Schoß nahm und mit ihren feinen Händchen in festen Banden hielt. Zugleich trat der Herr zu ihm und redete ihn an: »Mein Herr, ich habe soeben von Ihrem Kutscher vernommen, daß wir den gleichen Weg reisen. Auch ich bin hierhergekommen, um mittelst der Post bis zur nächsten Eisenbahnstation zu gelangen. Da Sie aber ganz allein sind, so haben Sie vielleicht nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen geselle? Denn ich ziehe die gemütliche Kutsche bei diesem Wetter dem dumpfen Postwagen vor; auch mein Gepäck, welches nicht beträchtlich ist, dürfte noch neben dem Ihrigen Platz finden.«
Heinrich erwiderte etwas unbeholfen, daß er gar nichts zu verfügen hätte, indem es dem Kutscher freistände, so viel Passagiere aufzunehmen, als er unterbringen könne. Die große Dame hingegen rief »Du wirst dich doch nicht in den alten Rumpelkasten setzen wollen, mit dem schmutzigen Fuhrmann auf dem Bock? Nein, da dank ich dafür!«
»Wenn du ein Herz für mich hast, liebe Schwester«, sagte der Herr, »so wünschest du mir vielmehr Glück dazu, daß ich einige Stunden lang die freie Luft und das schöne Wetter genießen kann!«
»Gut, daß wir diesmal
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