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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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poetische und ideale Deutschland, wie sich letzteres selbst dafür hielt und träumte. Er hatte nur mit Vorliebe und empfänglichem Gemüte das Bild in sich aufgenommen, welches Deutschland durch seine Schriftsteller von sich verfertigen ließ und über die Grenzen sandte. Das nüchterne praktische Treiben seiner eigenen Landsleute hielt er für Erkaltung und Ausartung des Stammes und hoffte jenseits des Rheines die ursprüngliche Glut und Tiefe des germanischen Lebens noch zu finden. Dabei hatte er alle Richtungen und Färbungen desselben ineinandergeflochten, ohne Kenntnis und Beurteilung ihrer natürlichen Stellung unter-und gegeneinander. Dem Rationalismus hing die romantische Caprice am Arm, das Schillersche Pathos und der britische Humor, Jean Paulsche Religiosität und Heinesche Eulenspiegelei schillerten durcheinander wie eine Schlangenhaut; die Beschwörungsformeln aller Richtungen hatte er im Gedächtnis und sah darum begeistert das vor ihm liegende Land als einen großen alten Zaubergarten an, in welchem er als ein willkommener Wanderer mit jenen Stichworten köstliche Schätze heben und wieder in seine Berge zurücktragen dürfe.
    Neugierig schaute Heinrich, näher hinzufahrend, in die dämmernde Waldnacht hinein, welche nur spärlich vom Mondlicht durchschienen ward, und als ein Reh aus dem Busche an das Ufer trat, ein in der Schweiz schon seltenes Tier, da begrüßte er es freudigen Mutes als einen freundlichen Vorboten. Es war übrigens gut, daß er keine solidere und gefährlichere Schmuggelware in seinem leichten Fahrzeuge führte als solche Hoffnungen; denn ein Wächter des deutschen Zollvereins war dem Schifflein schon geraume Zeit mit gespanntem Hahn nachgeschlichen, um zu spähen, wo es etwa landen möchte. Sein Rohr blinkte hin und wieder matt vom Scheine der mondbeglänzten Wellen.
    Der Ostermontag sah den jungen Pilger schon früh den Rhein hinauf und Hussens Brandstätte vorbei über den weithin leuchtenden Bodensee fahren.
    Das schöne Gewässer, welches vom Mai bis zum Weinmonat der paradiesischen Landschaft zur Folie dient, machte jetzt noch seinen Reiz und seine Klarheit für sich selbst geltend, und das mehr und mehr im blauen Dufte verschwindende Ufer des Thurgaus schien nun bloß um der schönen Umgrenzung des Sees willen dazusein. Sanft und rasch trugen die Fluten das Schiff an das fremde Gebiet hinüber, und erst als eine Schar grämlich-höflicher Bewaffneter den plötzlich Gelandeten umringte und von allen Seiten musterte, tat es ihm fast weh, daß an der Schwelle seines Vaterlandes ihn gar niemand um sein Weggehen befragt und besichtigt hatte.
    Ein Fuhrmann mit einer leer dastehenden alten Reisekutsche trug Heinrich für wenig Geld die Weiterbeförderung an, und bald kutschierte dieser tief in das »Land der Zukunft« hinein. Die Sonne schien tapfer, er saß hoch auf dem Bock, immer noch die verwelkte Primel auf der Mütze, und führte die Zügel der beiden mageren Gäule, während der Fuhrmann neben ihm sich einem süßen Müßiggange überließ und mit den befreundeten Stallknechten aller Gasthäuser am Wege geläufige Witz-und Schimpfworte austauschte. Das Land wurde bald flach und kornreich, doch die Ortschaften lagen unverbunden und einsam da, das Volk war schweigsam und eintönig in seinem Aussehen.
    Aber Heinrich besaß eine unverwüstliche Pietät für die Natur; wo keine Gebirge und Ströme waren, da fand er jedes Gehölz, einen stillen Ackergrund, einen besonnten Hügel reizend um der »Stimmung« willen, die darauf lag, und seine Verbündeten waren hiebei die Atmosphäre und die Sonne, welche ihm jeden Busch zu etwas gestalten halfen. Und schon früh hatte er, ohne theoretische Einpflanzung, unbewußt, die glückliche Gabe, das wahre Schöne von dem bloß Malerischen, was vielen ihr Leben lang im Sinne steckt, trennen zu können. Diese Gabe bestand in einem treuen Gedächtnis für Leben und Bedeutung der Dinge, in der Freude über ihre Gesundheit und volle Entwicklung, in einer Freude, welche den äußern Formenreichtum vergessen kann, der oft eigentlich mehr ein Barockes als Schönes ist. So war er imstande, einen mächtig in den Himmel strebenden Tannenbaum mit frohem Auge zu betrachten, während ein anderer denselben sogleich auf die Kunst bezog und die störende steife Linie hinwegwünschte und irgendeinem recht zerrissenen verkrüppelten Birnbaum nachlief. Das glänzende ungebrochene Grün einer Wiese, eines Buchenwaldes im Frühling erquickte seinen Blick,

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