Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
des Mädchens, auf den gerichtet, welcher vor das Bild trat, und sie schienen mit unabwehrbarer Durchdringung jede Selbsttäuschung, Halbheit, Schwärmerei, jede verborgene Schwäche, jede unbewußte Heuchelei aus ihm herauszufischen oder vielmehr schon entdeckt zu haben. Auf ihren eigenen Stirnen und über ihren Augen, um ihre Mundwinkel ruhte zwar unverkennbare Hoffnungslosigkeit; aber trotz ihrer Marmorblässe, die alle, ohne den rötlichen Greis, überzog, staken sie in einer so unverwüstlichen muntern Gesundheit, und der Beschauer, der nicht ganz seiner bewußt war, befand sich so übel unter diesen Blicken, daß man eher versucht war auszurufen Weh dem, der da steht vor der Bank der Spötter! und sich gern in das Bild hineingeflüchtet hätte.
Waren nun Absicht und Wirkung dieses Bildes durchaus verneinender Natur, so war dagegen die Ausführung mit der positivsten Lebensessenz getränkt. Jeder Kopf zeigte eine inhaltvolle eigentümlichste Individualität und war für sich eine ganze tragische Welt oder eine Komödie und nebst den schönen arbeitlosen Händen vortrefflich beleuchtet und gemalt. Die gestickten Kleider der wunderlichen Herren, der grüne Sammet und der rote Atlas an der reichen Tracht des Weibes, ihr blendender Nacken, die Korallenschnur darum, ihre von Perlenschnüren durchzogenen schwarzen Zöpfe und Locken, die goldene sonnige Bildhauerarbeit an dem alten Marmortische, die Gläser mit den aufschäumenden Perlen, selbst der glänzende Sand des Bodens, in welchen sich der reizende Fuß des Mädchens drückte, diese zarten weißen Knöchel im rotseidenen Schuh alles dies war so zweifellos, breit und sicher und doch ohne alle Manier und Unbescheidenheit, sondern aus dem reinsten naiven Wesen der Kunst und aus der Natur heraus gemalt, daß der Widerspruch zwischen diesem freudigen, kraftvollen Glanz und dem kritischen Gegenstand der Bilder die wunderbarste Wirkung hervorrief. Dies klare und frohe Leuchten der Formenwelt war Antwort und Versöhnung, und die ehrliche Arbeit, das volle Können, welche ihm zugrunde lagen, waren der Lohn und Trost für den, der die skeptischen Blicke der Spötter nicht zu scheuen brauchte oder sie tapfer aushielt.
Lys nannte dies Bild seine »hohe Kommission«, seinen Ausschuß der Sachverständigen, vor welchen er sich selbst zuweilen mit zerknirschtem Herzen stelle; auch führte er manchmal einen armen Sünder, dessen gezierte Gefühligkeit und Weisheit nicht aus dem lautersten Himmel zu stammen schien, vor die Leinwand, wo dann der Kauz mit seltsamem, etwas einfältigem Lächeln seine Augen irgendwo unterzubringen suchte und machte, daß er bald davonkam.
Heinrich wurde von seinen beiden Freunden und anderen Gesellen auch hier der grüne Heinrich genannt, da er sie einst mit diesem Titel bekannt gemacht, und er trug ihn, wie man ihn gab, um so lieber, als er seiner grünen Bäume und seiner hoffnungsvollen Gesinnung wegen denselben wohl zu verdienen schien und sich überdies heimatlich dadurch berührt fühlte.
Übrigens war er, wie es einst der unglückliche Römer prophezeit, richtig in den Hafen der gelehrten und stilisierten Landschaften eingelaufen und gab sich, indem er seit seinem Hiersein nicht mehr aus den Mauern der großen Stadt gekommen, rückhaltlos einem Spiritualismus hin, welcher seinen grünen, an den frischen Wald erinnernden Namen fast zu einem bloßen Symbol machte.
Sobald er die angehäuften Kunstschätze der Residenz und dasjenige, was von Lebenden täglich neu ausgestellt wurde, gesehen, auch sich in den Mappen einiger junger Leute umgeschaut, welche aus poetischen Schulen herkamen, ergriff er sogleich diejenige Richtung, welche sich in reicher und bedeutungsvoller Erfindung, in mannigfaltigen, sich kreuzenden Linien und Gedanken bewegt und es vorzieht, eine ideale Natur fortwährend aus dem Kopfe zu erzeugen, anstatt sich die tägliche Nahrung aus der einfachen Wirklichkeit zu holen.
Der Verfasser dieser Geschichte fühlt sich hier veranlaßt, sich gewissermaßen zu entschuldigen, daß er so oft und so lange bei diesen Künstlersachen und Entwickelungen verweilt, und sogar eine kleine Rechtfertigung zu versuchen. Es ist nicht seine Absicht, sosehr es scheinen möchte, einen sogenannten Künstlerroman zu schreiben und diese oder jene Kunstanschauungen durchzuführen, sondern die vorliegenden Kunstbegebenheiten sind als reine gegebene Facta zu betrachten, und was das Verweilen bei denselben betrifft, so hat es allein den Zweck, das
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