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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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er vor Ferdinands hoher Kommission, vor der gemalten Bank der Spötter, stand, so lachte er den wunderlichen Käuzen ins Gesicht und freute sich über sie; denn er hielt sich wegen seines Rationalismus, auf den er sich gutmütig viel zu gut tat, halb und halb von der Gesellschaft, bis ihn plötzlich die zornige Ahnung überkam, daß es auch auf ihn gemünzt wäre, und der gute Lys, welcher Heinrich wirklich liebte und wohl wußte, daß er nicht vor dies Tribunal gehöre, mußte dann hundert Angriffe und Sarkasmen aushalten.
    Außer diesem Umstande verursachte noch ein anderer eine Ungleichheit zwischen beiden Freunden. Lys, der wie Erikson um sechs bis sieben Jahre älter war als Heinrich, liebte das Gluck bei den Weibern und sah, wo er es fand, ohne bisher ein Gefühl für Treue und bindende Dauer empfunden zu haben. Er war höflich und aufmerksam gegen sie, ohne für sie eine allzu große Achtung in sich zu beherbergen, während Heinrich zurückhaltend, scheu und fast grob gegen sie war und doch eine herzliche Achtung für jedes weibliche Wesen hegte, das sich nur einigermaßen zu halten wußte. So seltsam vertraut und sinnlich sein Umgang mit Judith gewesen, hatte ihn doch der Instinkt der Jugend und die ganze Lage der Dinge vor dem Äußersten bewahrt, und diese Rettung, auf die er sich nun mit der Koketterie der Zwanzigjährigen viel zugute tat, betrachtete er nun als ein zu erhaltendes Glück und als eine Erleichterung, dem reinern Andenken Annas leben zu können. Denn obgleich er nun auch bereits merkte, daß jenes jugendliche Gelübde ein Traum gewesen sei, so war er doch weit entfernt, irgendeine neue Liebe zu hoffen und nahe zu sehen, und seine Sehnsucht ging mit ihren Bildern und Träumen daher immer in die Vergangenheit zurück. Dies gab seiner Denkungsart etwas Zartes und Edles, welches er wirklich fühlte und ihn über sich selbst täuschte.
    Wenn daher Ferdinand die Weiber beurteilte wie ein Kenner eine Sache, wenn er in galanten, eleganten und ausgesuchten, ja frivolen Dingen, Gerätschaften, Gesprächen und Gebräuchen sich gefiel, wenn er wirklich auf ein Abenteuer ausging oder von einem solchen erzählte, so wurde Heinrich in seiner Gesinnung betroffen und verlegen. Ferdinand besaß ein mit einem Schlosse versehenes Album, in welches er alle seine Liebesabenteuer in verschiedenen Ländern gezeichnet hatte. Man erblickte die bald empfindsamen, bald leichtfertigen Schönen in den verschiedensten Lagen, bald schmollend, zornig, weinend, bald übermütig und zärtlich in Ferdinands Armen, diesen aber immer mit der größten Sorgfalt ähnlich gemacht bis auf die Kleidungsstücke, und nicht zu seinem Nachteile, während den zornigen und schmollenden Schönen durch allerlei Schabernack, entblößte Waden oder triviale Faltenlagen in den Gewändern weniger ein Reiz als ein Anflug von Lächerlichkeit und Erniedrigung gegeben war. Dies Buch konnte Heinrich nicht ausstehen; sein Freund schien ihm darin sich selbst herabgewürdigt zu haben; aber weit entfernt, mit ihm darüber zu disputieren oder den Sittenrichter zu spielen, lächelte er vielmehr dazu. Anders als in den religiösen Fragen, wo er die Existenz seines Bewußtseins auf dem Spiele glaubte, zwang er sich hier, die Art und Weise anderer gelten zu lassen und sie sogar anzuerkennen. Es war ein Zeichen seiner gänzlichen geistigen Unschuld; denn bei mehr Erfahrung hätte das Verhältnis gerade umgekehrt sein müssen.
    Aber alles zusammengenommen bewirkte, daß Heinrich glaubte, sich seinen eigenen Weg in jeder Hinsicht freihalten zu müssen, und für Ferdinands künstlerisches Beispiel unzugänglich wurde, zumal in dessen fertiger und bewußter Tüchtigkeit etwas von der Keckheit und Erfahrungsreife, von dem Liebesglücke Ferdinands zu liegen schien.
    Sonst waren die drei, Lys, Erikson und Heinrich, die besten Freunde von der Welt, und jeder gab seinen Charakter in der unbefangensten Weise dem andern zum besten. Sie waren um so lieber und unzertrennlicher zusammen, als noch ein besonderes gemeinsames Band sie vereinigte. Jeder von ihnen stammte aus einer Heimat, wo germanisches Wesen noch in ausgeprägter und alter Feste lebte in Sitte, Sprachgebrauch und persönlichem Unabhängigkeitssinne; alle drei waren von dem Sonderleben ihrer tüchtigen Heimat abgefallen und zu dem großen Kern des beweglichen deutschen Lebens gestoßen, und alle drei hatten dasselbe, erstaunt und erschreckt über dessen Art, in der Nähe gesehen. Schon die Sprache, welche der

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