Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
also äußerlich zusammen, da er in seiner Torheit seiner Sache sicher zu sein glaubte, und beobachtete Rosalien mit mehr Ruhe, um den günstigen Augenblick zu finden, sie allein zu sehen.
Rosalie schien ihn hierin zu unterstützen; denn er bemerkte, daß sie mehrmals allein wegging auf eine Weise, als ob sie wünsche, daß jemand ihr folge und sie aufsuche.
Sie hatte Spiel, Schmuck und Ferdinand vergessen und war jetzt mit einem andern Gedanken beschäftigt, und dieser Gedanke rötete ihre Wangen und entfachte ihre Augen in holder Glut. Sie wünschte, daß Erikson sie suchte und allein spräche, ohne daß sie ihn geradezu aufforderte. Aber dieser merkte von allem nichts, und anstatt daß er selber auf den Gedanken kam, den er vielmehr beinahe scheute wie eine gefährliche Entscheidung, beobachtete er Ferdinand, der sich nun ruhiger hielt, und glich einem Jäger, der nach einer anderen Seite sieht, wo er etwa einen Fuchs vermutet, während das schöne Reh in Schußweite vor ihm hinspringt.
Ferdinand aber verlor nun keine Zeit mehr, sondern verschwand unversehens aus dem Saale, als er gesehen, daß Rosalie sich wiederum entfernt habe. Sobald er auf dem Gange war, folgte er ihr mit stürmischen Schritten, daß seine assyrischen Gewänder nur so flogen, erreichte sie in einem abgelegenen stillen Zimmerchen, welches zur Sommerzeit ihr Boudoir war, ergriff ihre beiden Hände und begann dieselben leidenschaftlich zu küssen. Sie hatte gehofft, daß Erikson hinter ihr herkäme; aber bald erkannte sie an dem leichten Schritte, daß er es nicht sei, und wußte nun in der Verwirrung nicht sogleich, was sie anfangen sollte.
Doch entzog sie ihm die Hände, indessen er sagte: »Schönste Frau! Sie haben zwei Glückliche gemacht! Beglücken Sie den dritten, indem Sie mir erlauben, Ihnen zu sagen, wie tief ich von Ihrer Schönheit und Anmut, von Ihrem ganzen Wesen ergriffen bin!«
Rosalie zappelte mit ihren Händchen, ihn abwehrend, und rief halb ängstlich, halb lachend: »Herr Lys! Herr Lys! ich bitte Sie! Sehen Sie denn nicht, daß ich heute in meinen Alltagskleidern stecke und nicht mehr die Göttin der Liebe bin?«
»O schöne, liebe Rosalie!« rief Lys und fuhr fort mit schöner Beredsamkeit, »mehr als je sind Sie die Schönheit und Liebe selbst und alles das, was die Alten so tiefsinnig vergöttert haben! Sie sind eine ganze Frau im edelsten Sinne des Wortes, in Ihnen ist nur Anmut und Wohlwollen, und Sie verwandeln alles dazu, was um Sie ist. O jetzt begreife ich, warum ich ein Ungetreuer und Wankelmütiger war mein Leben lang! Wie kann man treu und ganz sein, wo man immer nur das halbe und durch Sonderlichkeit getrübte Weib trifft, bald unfertig in seinem Bewußtsein, bald eigensinnig und überreif in demselben? Sie sind das wahre Weib, in dem der Mann seine Ruhe und seinen dauernden Trost findet, Sie sind heiter und sich selber gleich, wie der Stern der Venus, den Sie gestern trugen! O verkennen Sie sich nicht, erkennen Sie Ihr eigenes Wesen! Diese göttliche Freundlichkeit, welche Sie beseelt, ist nichts als Liebe, welche gewähren muß, sobald sie erkannt und verstanden wird! Sie muß sich äußern hoch über der trüben Welt von Tugend und Sünde, Pflicht und Verrat, in der Höhe des klaren unveränderlichen Lebens ihres eigenen Wesens!«
Er hatte wieder ihre Hand ergriffen und sah jetzt so schön und aufrichtig aus, daß sie ihm nicht gram werden konnte; sie ließ ihm desnahen noch eine Weile die Hand und sagte mit großer Anmut und Freundlichkeit: »Sie sind jetzt sehr liebenswürdig, Herr Lys! und ich will deshalb vernünftig mit Ihnen sprechen. Ich bin weit entfernt, Ihre Grundsätze zu verdammen oder Ihnen eine zimperliche Predigt halten zu wollen, da ich sehe, daß dieselben nicht leere Worte eines unsichern Mannes, vielmehr nur zu deutlich die Äußerung einer tiefer begründeten Lebensrichtung sind. Sehen Sie zu, wie Sie dabei Ihr Glück und Ihre Ruhe finden, von der Sie sprechen! Aber ich muß Ihnen wenigstens sagen und kann Sie auf das heiligste versichern, daß ich mich selber sehr wohl kenne und daß Sie sich hinsichtlich meines Wesens vollkommen getäuscht haben. Sehen Sie, Herr Lys! (und hier zog sie ihre Hand zurück und maß ihm eine rosige Fingerspitze vor, indessen sie etwas ungeduldig mit den Füßchen strampelte) ich empfinde nicht so viel Neigung für Sie, und ich schwöre Ihnen, daß, was meine Freundlichkeit betrifft, dieselbe nun und nimmermehr das für Sie sein wird, was Sie Liebe
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