Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
durch den hochwürdigsten Herrn Bischof usf.
Dazu war noch eine Gebrauchsanweisung gefügt, wie viele Ave und andere Sprüche dazwischen zu beten seien.
Agnes lag auf den Knien vor dem Altar, und den Rosenkranz, den sie aus dem Busen gezogen, um die Hände gebunden, betete sie leise, aber inbrünstig, das Gebet vor sich auf dem Boden. Wenn sie einige Worte abgelesen hatte, so schaute sie flehend auf zu dem Marienpüppchen und bat die göttliche Frau mit heiligem Ernst, ihr beizustehen in ihrer Bedrängnis und in ihrem Vorhaben.
Endlich stand sie mit einem großen Seufzer auf und ging nach dem Weihkessel, in welchen sie ihre weißen Finger tauchte. Da sah sie Heinrich in die Tür gelehnt, wie er sie unverwandt betrachtete, und an seiner Haltung sah sie, daß er ein Ketzer sei. Ängstlich tauchte sie den vorhandenen Wedel tief in den Kessel, eilte damit auf Heinrich zu, wusch ihm förmlich das Gesicht und besprengte ihn über und über mit Wasser, indem sie mit dem Wedel unaufhörliche Kreuze schlug. Nachdem sie so die schädliche Einwirkung seiner Ketzerei auf ihre Andacht gebannt, ergriff sie beruhigter seinen Arm und ließ sich wieder in die Kutsche heben.
Heinrich zog sein Taschentuch und trocknete sich das Gesicht, welches von Weihwasser troff; Agnes wollte ihn daran verhindern und zog ihm das Tuch weg, und indem sie so in einen Streit gerieten, der zuletzt zum mutwilligen Scherz wurde, vergaßen sie ganz, daß sie bereits an dem Garten Rosaliens angekommen waren.
Die zahlreiche Gesellschaft, welche schon in dem Landhause versammelt war, begrüßte die liebliche Erscheinung mit lauter Freude. Rosalie hatte außer den Künstlern und den Damen von gestern noch mehrere ihrer Verwandten und Freunde holen lassen, welche sich nun in sonntäglicher moderner Kleidung unter die Vermummten mischten, wovon die Gesellschaft ein zufälliges und leichtes Ansehen gewann. Rosalie selbst, um ihren Pflichten als Wirtin besser nachzukommen, zeigte sich in einfacher häuslicher Tracht, welcher sie auf das anmutvollste einigen heitern Schmuck beigefügt hatte.
Als Agnes Ferdinand in seinem fremdartigen und fast weiblichen Schmucke erblickte, blieb sie einen Augenblick offenen Mundes stehen und geriet in eine verwirrte Berauschung, da er zärtlich auf sie zueilte, Heinrich für seine Mühe dankte und mit voller Aufmerksamkeit für sie besorgt war. Erst nach und nach kam sie wieder zum Bewußtsein, wachte nun auf in froher Hoffnung und ging, indem es ihr wie ein Stein vom Herzen fiel, in eine blühende Fröhlichkeit über. Sie fing an zu zwitschern, wie ein Vögelchen im Frühling, und schaute vergnügt um sich; denn sie sah nun wirklich Ferdinand neben sich sitzen und hörte seine vertraute Stimme in artigen Worten, die er an sie richtete.
Das kleine, schön gebaute Haus war mit Gästen angefüllt. In dem mäßigen Saale und den wohnlichen Zimmern brannte lockendes Kaminfeuer, indessen die Sonne wärmend durch die Fenster schien und auf dem Garten lag, so daß man durch die offenen Glastüren aus und ein ging. Überall blühten Hyazinthen und Tulpen, und das Treibhaus, welches im schönsten Flore stand, war zwischen seinen grünen Gebüschen mit gedeckten Tischchen versehen. Einige Musiker waren bestellt, und man tanzte in dem Saale, jedoch ohne Hast und ohne Zeremonien, sondern behaglich und abwechselnd. Es war anmutig zu sehen, wie ein Teil der Gesellschaft zierlich und fröhlich tanzte, während ein anderer Teil sich in Spielen und Erfindungen erging in Haus und Garten, indessen ein dritter sich im traulichen Zimmer in weitem Ringe um den runden Tisch reihte und die Champagnergläser hob. Die Wirtin war so unermüdlich und liebenswürdig, daß der Fremdeste sich bald zu Hause fühlte. Jedem wußte sie durch einen einzigen Blick, durch ein Wort oder eine Frage dies Gefühl zu geben, und diejenigen jungen Leute, welche aus dürftiger Dachkammer herabgestiegen, nur durch ihr Faschingsgewand in diese Räume der Wohlhabenheit und Zierlichkeit geführt und wenig an die Gebräuche der sogenannten guten Gesellschaft gewöhnt waren, richteten sich nichtsdestominder mit großer Unbefangenheit an ihren Trinktischen ein, und Rosalie schien geehrt und erfreut zu sein durch das treuherzige Schenkeleben, welches sie mit Maß und Sitte zur Schau stellten.
Dadurch gewann sie sich die Herzen aller Anwesenden, so daß sich alle mehr oder weniger in sie verliebten. Sie war sozusagen die Frau von Gottes Gnaden, deren Anmut Wohlwollen und Trost
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