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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Adresse und dann die Frau, gab ihr den Empfangschein, und sie machte sich davon, als ob sie soviel Geld jemandem genommen anstatt gegeben hätte. Der linke Arm, auf welchem sie das Geld getragen, war ganz steif und ermüdet, und so kehrte sie auch körperlich angegriffen in ihre Behausung zurück und war froh, als sie dort war. Nichtsdestominder fühlte sie einen gewissen mütterlichen Stolz, als sie durch, so viele selbstzufriedene und prahlende Männer und Weiber hindurchging, welche unfehlbar ihren Gang scharf getadelt hätten und selbst eher dafür, daß sie den Knieriemen tüchtig handhabten, sich am liebsten von ihren Kindern gleich einen Erziehergehalt ausbezahlen ließen, anstatt irgend etwas Ungewöhnliches für sie zu opfern oder zu wagen.
    Mit Heinrich, als er das Geld empfing, begab sich jetzt etwas sehr Natürliches und doch wieder sehr Sonderbares. Er hatte seiner Mutter gerade um soviel Geld geschrieben, als seine Schulden betrugen, aus Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit mitten im Leichtsinn, und erst als die Summe unterwegs war, fiel ihm ein, daß er ja, wenn die Schulden bezahlt seien, abermals auf dem gleichen Punkte stehe wie vorher. Er nahm sich also vor, diesmal weltklug zu sein und, wie er es schon öfter bei anderen ganz ehrbaren Leuten gesehen, seinen Gläubigern einstweilen die Hälfte ihrer Forderungen zu tilgen, mit der anderen Hälfte aber dann gut hauszuhalten und ganz gewiß mit festem Willen den Anfang zu einem selbständigen Leben zu machen. Die Gläubiger waren alles solche, welche den entschieden und verständig angebrachten Antrag gern angenommen hätten, und auch der zweite Vorsatz war bei dem erweiterten Gesichtskreis und guten Willen keine Unmöglichkeit; vielmehr kam es nur auf frische Lust, gute Laune und einiges Glück an, das jeder Tag bringt, wenn der Mensch nur bereit ist, es zu haschen.
    Als aber die Gläubiger, die diesmal sich nicht aufsuchen ließen, erschienen und sich freuten, sich auch hier nicht getäuscht zu haben in der Ehrlichkeit der Jugend, da brachte es Heinrich nicht über sich, auch nur bei einem einzigen mit seinem Vorschlag herauszurücken; er befriedigte vielmehr einen jeden bei Heller und Pfennig, ohne zu zögern und zu seufzen, und dem letzten, welcher weniger eilig war und sich nicht sehen ließ, brachte er sein Guthaben ängstlich ins Haus beim ärgsten Regenwetter. Jetzt hatte er noch einige Taler in der Hand, welche er, ohne einen Groschen weniger auszugeben, aufbrauchte und zu Ende gehen sah. Dies geschah auch in kurzer Zeit, und eines Morgens, als er aufstand, erinnerte er sich, daß er nicht einen Pfennig mehr im Vermögen hatte. Obgleich er dies vorausgewußt, so war er doch ganz verblüfft darüber und noch, mehr, als er nun klar fühlte, daß er unmöglich jetzt von neuem borgen könne; denn teils wußte er nun bestimmt, daß er neue Schulden nicht mehr bezahlen könne, teils widerstrebte es ihm, nach Verlauf einiger Tage abermals bei denen anzuklopfen, die er soeben befriedigt hatte, kurz, auf einmal verließ ihn alle die Herrlichkeit, Weisheit und Gewandtheit, der Schleier fiel von der dürren Lage der Dinge, und er ergab sich ganz demütig und geduldig dem Gefühle der nackten Armut. Als der Mittag kam, ging er aus in alter Gewohnheit, verbarg sich aber vor allen Bekannten; er kehrte wieder in seine Wohnung, und als der Abend kam, war er doch höchlich verwundert, nichts gegessen zu haben an diesem Tage. Als aber der nächste Tag ebenso verlief und es ihn anfing tüchtig zu hungern, erinnerte er sich plötzlich der weisen Tischreden seiner Mutter, wenn er als kleiner Junge das Essen getadelt hatte und sie ihm dann vorhielt, wie er einst vielleicht froh sein würde, nur solches Essen zu haben. Das erste Gefühl, was er hiebei empfand, war ein Gefühl der Achtung vor der ordentlichen Regelmäßigkeit und Folgerichtigkeit der Dinge, wie alles so schön eintreffe; und in der Tat ist nichts so geeignet, den notwendigen und gründlichen Weltlauf recht einzuprägen, als wenn der Mensch hungert, weil er nichts gegessen hat, und nichts zu essen hat, weil er nichts besitzt, nichts besitzt, weil er sich nichts erworben hat. An diesen einfachen und unscheinbaren Gedankengang reihen sich dann von selbst alle weiteren Folgerungen und Untersuchungen, und Heinrich, indem er nun in seiner Einsamkeit vollständige Muße hatte und von keiner irdischen Nahrung beschwert war, überdachte sein Leben und seine Sünden, welche jedoch, da der Hunger ihn

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