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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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geworden war. Auch jetzt entwickelte er unversehens eine große Beredsamkeit, ward, was er sich früher auch einmal sehnlich gewünscht hatte, ein meisterlicher Zecher, welcher die deutsche Zechweise mit so viel Phantasie und Geschicklichkeit betrieb, daß die so verbrachten Stunden und Nächte eher ein lehrreicher Gewinn, eine Art peripatetischer Weisheit schienen als ein Verlust. Das, was man lernte und sich mitteilend kehrte und wendete, geriet durch das aufgeregte Blut erst recht in Bewegung und durch die gesellschaftlichen Gegensätze, durch die hundert bald komischen, bald ernsten Konflikte in lebendigen Fluß, und das scheinbar rein Wissenschaftliche und Farblose bekam durch das gesellschaftliche und moralische Verhalten der Leute bestimmte Färbung und Anwendung oder diente diesem zu sofortiger Erklärung. Erst war die gewohnte Art herrschend gewesen, bei hervortretendem Widerspruche sich unwiderruflich auf seiner Seite zu halten, die Ehre in der Hartnäckigkeit zu suchen, mit welcher man um jeden Preis eine Meinung behaupten zu müssen glaubt, und im allgemeinen bei allen Andersdenkenden einen bösen Willen oder Unfähigkeit und Unwissenheit vorauszusetzen. Heinrich aber, welchen nun die Dinge von Grund aus zu berühren anfingen und welcher sich mit warmer Liebe um das Geheimnis ehrlicher Weltwahrheit bekümmerte, wie sie im Menschen sich birgt, ihn bewegt oder verläßt, brachte mit unbefangener und durchdringender Kraft zur anfänglichen Verwunderung der anderen die Lebensart auf, Recht-oder Unrechthaben als ganz gleichgültige Dinge zu betrachten und erst ihre Quellen als einen beachtenswerten Gegenstand aufzunehmen, in der höflichen und artigen Voraussetzung, daß es alle gut meinen und alle fähig wären, das Gute einzusehen. Dabei war er, wenn er sich ins Unrechthaben hineingeredet hatte, selbst der erste, welcher darüber nachdachte und bei kühlerm Blute sich selbst preisgab, die Sache wieder aufnahm und seinen Irrtum auch nach den eifrigsten und härtesten; Äußerungen eingestand und von neuem untersuchen half, jene falsche Höflichkeit verdrängend, welche mit dem kalten Aufsichberuhenlassen einer Sache einen um so größern heimlichen Hochmut und einen Dorn im Bewußtsein aller davonträgt. Diese Weise machte sich um so leichter geltend, als es sich bald bemerklich machte, daß nur diejenigen, welche einen wirklich bösen Willen oder eine gewisse Unfähigkeit besitzen mochten, mit jenem kalthöflichen Abbrechen sich zurückzuziehen beliebten und jeder also auch den Schein hievon vermeiden wollte. In solchen Fällen stellte es sich dann auf das liebenswürdigste heraus, daß durch diesen bloßen Schein die innerlich Widerstrebenden und Murrenden doch eine goldene Brücke fanden und unvermerkt auf die bessere Seite gezogen wurden und so einen Gewinn davontrugen, den sie früher nie gekannt in ihrem verstockten Wesen. Zugleich kam die löbliche Manier auf, alles im gleichen Flusse und mit gleicher Schwere oder Leichtigkeit zu behandeln und die anmaßliche Art zu unterdrücken, einzelne vorübergehende Entdeckungen, Einfälle und Bemerkungen feierlich zu betonen und steifschreierisch vorzutragen, als ob jeden Augenblick eine Perle gefunden wäre zu ungeheuerster Erbauung, welche Art derjenigen schlechter Skribenten gleicht, die alle Augenblicke ein Wort unterstreichen, einen neuen Absatz machen und ihre magere Schrift mit allen aufgehäuften interpunktorischen Mitteln überstreuen. Denn die gute schriftliche Rede soll so beschaffen sein, daß, wenn sie durch Zeit und Schicksale aller äußeren Unterscheidungszeichen beraubt und nur eine zusammengelaufene Schriftmasse bilden würde, sie dennoch nicht ein Jota an ihrem Inhalt und an ihrer Klarheit verlöre.
    Alle diese Lebensart gewann nun einen gewissermaßen veredelnden und rechtfertigenden Anstrich dadurch, daß von dem Verkehr mit Weibern keine Rede war, sondern zufällig eine Schar junger Leute zusammentraf, welche sich darin gefiel, in diesen Dingen unberührt zu heißen oder höchstens einer Neigung sich bewußt zu sein, welche heiliggehalten und unbesprochen sein wollte. Heinrich war sogleich seiner äußeren leiblichen Unschuld froh und vergaß gänzlich, daß er jemals nach schönen Gesichtern gesehen haue und daß es solche überhaupt in der Welt gab, die Fähigkeit des Menschen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden zu können, wenn er die letzten zarten Schranken der Dinge nirgends überwältigt und durchbrochen hat. Er fühlte diese ganze

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