Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Richtung innegehalten und nur um einige Stunden seitwärts geraten sei. Er sah mit Seufzen ein, daß er unmöglich in einem Zuge nach der Heimat gelangen könne, ohne etwas zu essen; doch berechnete er, daß er bis zum nächsten Tage eine Landschaft erreichen müsse, wo seiner dunklen Erinnerung nach schon etwas Obst wuchs, daß er gefallene Früchte suchen, sich leiblich stärken und unter irgendeiner Feldscheune ruhen könne, um dann in einem zweiten Anlauf die Schweizer Grenze zu erreichen, wo er heimisch und geborgen war. Doch schon um die Mittagszeit, als er durch ein triefendes Gehölz ging und es rings im Lande Mittag läutete, schien ihm der Hunger und die Ermattung unerträglich, und er setzte sich ratlos auf einen nassen Steinblock. Da kam ein altes Mütterchen dahergetrippelt, welches mit der einen Hand ein elendes Bündel kurzen Reisigs auf dem grauen Kopfe trug, dessen Haare so rauh und struppig waren wie das Reisig, und mit der anderen Hand mühselig eine abgebrochene Birkenstaude nachschleppte. Mit tausend kurzen, zitternden Schrittchen zerrte sie emsig und keuchend, viele Seufzer ausstoßend, den widerspenstigen Busch über alle Hindernisse nach sich, gleich einer Ameise, die einen zu schweren Halm nach dem Bau schleppt. Heinrich bedachte eben mit Scham über seine eigene Ungeduld, wie das schwache bejahrte Weib, das vielleicht dem Lande arbeitende und starke Söhne geboren hatte, sein ganzes Leben nur einen fortgesetzten Gang in Regen und Not ging, ohne Grund und ohne Schuld, als ein dicker Flurschütz des Weges kam, wohl ebenso alt wie das arme Weib, aber mit rotem trotzigen Gesicht und einem eisgrauen Schnurrbart und scheibenrunden, töricht rollenden Augen. Dieser fuhr sogleich über die Frau her, welche den Busch zitternd fahrenließ, und schrie »Hast wieder Holz gestohlen, du Strolchin!« Bei allen Heiligen beteuerte die Alte, daß sie das Birkenbäumchen also geknickt mitten auf dem Wege gefunden habe; aber er rief »Lügen tust du auch noch? wart, ich werd dir's austreiben!« Und der alte Mann nahm die alte Graue beim vertrockneten Ohr, welches unter der verschobenen geblümten Kattunhaube hervorguckte, und zerrte sie mehrmals an selbem hin und her, wie man etwa einen bösen jungen Buben schüttelt, daß es höchst seltsam und unnatürlich anzusehen war.
Heinrich sprang mit einem Satze hinzu und schlug dem bösen Holzvogt sein hartes Wachstuchpäcklein einigemal so heftig um die Ohren und auf das Gesicht, daß der Unhold taumelte und ihm das übermütige Blut aus Mund und Nase rann. Das Frauchen machte sich, so schnell es konnte, aus dem Staube, oder vielmehr aus dem Regen, der Feldwärtel aber wollte seinen Säbel ziehen, und indem dieser nicht hervorkommen wollte, verharrte der Wütende krampfhaft in der ziehenden Stellung, die eine Hand am Griff, die andere an der Scheide, schnaubend und fluchend, und gab in dieser gebannten Lage ein so herausforderndes Bild der höchsten Wut, daß Heinrich noch einmal auf ihn zusprang, ihm noch mehrere Maulschellen gab und mit Scheltworten, Stößen und Schlägen davonjagte. Froher als der junge Moses, der den ägyptischen Aufseher erschlagen, atmete er auf und fand plötzlich, daß das unvorhergesehene Abenteuer ein gutes Mittagsmahl war, denn er fühlte nicht mehr den mindesten Hunger und sich so angenehm aufgeregt und bei Kräften, daß er wohlgemut seinen Weg fortsetzte und sich nicht stark um die Rache des Flurschützen kümmerte, welcher wahrscheinlich Mannschaften herbeiholte.
Wie er nun so vorwärtsdrang durch Wind und Regen, wirkte die Wärme der guten Tat, welche die Stelle eines nahrhaften Imbisses bei ihm vertreten, immer angenehmer nach; es ging wie ein Licht in ihm auf, und es wollte ihn bedünken, als ob eine solche fortgesetzte und fleißige Tätigkeit in lebendigem Menschenstoffe doch etwas ganz anderes wäre als das abgeschlossene Phantasieren auf Papier und Leinwand, insonderheit wenn man für dieses nicht sehr geeignet sei. Oder vielmehr begann es ihm klarer zu werden mitten in dem düstern Unwetter, in welcher Weise er sich in der Berufswahl getäuscht, da erst jetzt, und noch viel eindringlicher als durch jenes borghesische Fechterbild, das runde lebendige Menschenleben sich in seiner Hand abgedruckt und noch deutlich nachfühlte, im Gegensatz zu dem kalten Flächenleben, dem er sich sonst ergeben.
Auf der Höhe des nahen Gehölzes fürbaß schreitend, dachte er sich den Fall, daß er den bösen Flurschützen in der Hitze eines
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