Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Neide von meinen jetzigen Verhältnissen erzählen hörten.
In der Tat brachte jeder Tag neue Veränderungen in meiner bisherigen Lebensweise. Seit alter Zeit war die Jugend der Städte in den Waffen geübt worden, vom zehnten Jahre an bis beinahe zum wirklichen Militärdienste des Jünglingsalters; nur war es mehr eine Sache der Lust und des freien Willens gewesen, und wer seine Kinder nicht wollte teilnehmen lassen, war nicht gezwungen. Nun aber wurden die Waffenübungen für die sämtliche schulpflichtige Jugend gesetzlich geboten, daß jede Kantonsschule zugleich: ein soldatisches Korps bildete. Wir wurden in grüne Uniform gesteckt, ich glaubte schon mit meiner besonderen Grünheit in der allgemeinen aufgehen zu können und von meinem Spitznamen erlöst zu sein; aber weit gefehlt, meine Mutter ließ es sich nicht nehmen, die grünen Röcke meines Vaters, welche kein Ende nehmen zu wollen schienen, dem Schneider unterzuschieben, und so ermangelte meine Uniform niemals, um einen Grad dunkler oder heller zu sein als alle übrigen und mich fortwährend auszuzeichnen. Mit den kriegerischen Übungen war das Turnen verwandt, zu welchem wir ebenfalls angehalten wurden, so daß einen Abend exerziert und den andern gesprungen, geklettert und geschwommen wurde. Ich war bisher aufgewachsen wie ein Gras, mich biegend und schmiegend, wie jedes Lüftchen der Lebensregungen und der Laune es wollte; niemand hatte mir gesagt, mich grad zu halten, kein Mann mich an See und Fluß geführt und da hineingeworfen, wo es am tiefsten war, nur in der Aufregung hatte ich ein und andern Sprung getan, den ich mit Vorsatz nicht zu wiederholen vermochte. Mein Temperament aber hatte mich nicht dazu getrieben, wie etwa die Söhne anderer Witwen, da ich keinen Wert darauf legte und viel zu beschaulich war. Meine jetzigen Schulgenossen hingegen bis auf den kleinsten herab schwammen alle wie die Fische im See herum, sprangen und kletterten wie Katzen, und es war hauptsächlich ihr Spott, welcher mich zwang, mir einige Haltung und Gewandtheit zu erwerben, da sonst wohl mein Eifer bald erkaltet wäre. Denn es ist nicht zu leugnen, daß das allzu pedantische Betreiben solcher Dinge nicht nur gedankenreichen Erwachsenen, sondern auch einem Kinde, dessen Phantasie öfters spazierengeht, unbequem werden kann.
Aber noch viel tiefer sollten die Veränderungen in mein Leben einschneiden. Ich war nun in eine Umgebung geraten, welche sämtlich mit einem mehr oder minder genugsamen Taschengelde versehen war, teils infolge häuslicher Wohlhabenheit, teils auch nur infolge herkömmlichen städtischen Wohllebens und sorgloser Prahlerei der Eltern. An reichlicher Gelegenheit, Ausgaben zu machen, fehlte es noch weniger, da nicht nur bei den gewöhnlichen Übungen und Spielen auf den entlegenen Plätzen Obst und Backwerk zu kaufen üblich war, sondern auch bei größeren Turnfahrten und militärischen Ausflügen mit klingendem Spiel es für männlich galt, sich in den entfernten Dörfern hinter Wurst und Wein zu setzen. Dazu kamen noch die Ausgaben für allerhand Spielereien, welche in der Schule abwechselnd Mode wurden unter dem Vorwande nützlicher Beschäftigung, ferner der lehrreiche Besuch aller fremden Sehenswürdigkeiten, von welchem allem sich regelmäßig entfernt halten zu müssen einen unerträglichen Anstrich von Dürftigkeit und Verlassenheit verlieh. Meine Mutter bestritt mit gewissenhaftem Eifer alle die ungewohnten Ausgaben für Lehrmittel, Instrumente und Material und gab mir hierin sogar für eine gewisse Verschwendung Raum. Mit den feinen Zirkeln des Vaters durchstach ich das schönste Papier in der Klasse; jede Gelegenheit nahm ich wahr, ein neues Heft zu errichten, und meine Bücher waren immer am elegantesten gebunden.
Allein für alles andere, was im geringsten des Überflusses verdächtig schien, beharrte sie unerbittlich auf dem Grundsatze, daß kein Pfennig unnütz dürfe ausgegeben werden und daß ich dies frühzeitig lernen müsse. Nur für die allgemeinsten Ausflüge und Unternehmungen, von denen zurückzubleiben ein zu großer Schmerz für mich gewesen wäre, gab sie mir ein kärgliches Geld, welches jedesmal schon in der Mitte des frohen Tages aufgezehrt war. Dabei hielt sie mich in weiblicher Unkenntnis der Welt nicht etwa in der Abgeschiedenheit zurück, wie es sich zu ihrer strengen Sparsamkeit geschickt hätte, sondern ließ mich meine ganze Zeit in der Gemeinschaft der anderen zubringen, mich nur unter lauter wohlgezogenen
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