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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Augenblick, wie um sich zu besinnen, während er mit dringlichen Reden wieder begann; doch sie unterbrach ihn abermals, als ob sie einen guten Gedanken gefunden hätte.
    »Ich habe gehört oder gelesen von ausgezeichneten Frauen, welche mit unbedeutenden Männern friedlich gelebt, indessen sie aber mit höchst bedeutenden Geistern eine Seelenfreundschaft gepflegt haben, wozu jedoch für den Anfang eine beträchtliche Entfernung gehört, bis das beruhigende Alter die rechte Weihe bringt. Solche Frauen, wenn sie genugsam Kinder geboren und wohl erzogen haben, sollen alsdann nicht selten zum höchsten Verständnis jener Geister sich emporschwingen, da es ihnen nicht mehr an Zeit gebricht, den großen Dingen nachzuleben. Nun sehen Sie, wie schön wir es doch noch einrichten könnten, wenn wir nur wollten. Sollte wirklich etwas so Außerordentliches in mir sein, wie Sie mich bald glauben machen, so kann ich ja einstweilen meinen unbedeutenden Erikson heiraten, Sie entfernten sich für ein paar Jahrzehente –«
    Sie schwieg nicht ohne Besorgnis, als Lys mit einem schmerzlichen Seufzer auf einen Stuhl sank und vor sich niedersah. Er merkte erst jetzt, daß die reizende Frau ihr Spiel trieb, und da er zugleich sein Kleid gewahrte, mochte er der bedenklichen Lage innewerden, in die seine Schwäche ihn geführt, vielleicht auch zum ersten Mal ihn die Empfindung von der dunklen leeren Stelle in seinem sonst so reichen Wesen überschatten.
    Ungehört auf den weichen Teppichen des kleinen Zimmers war Erikson schon vor einigen Minuten eingetreten und hinter dem Freunde gestanden, und Rosalie hatte ihre schalkischen Reden in seiner Gegenwart gehalten, die sie mit keinem Zwinkern ihrer Augen verriet.
    »Aber, närrischer Kauz«, sagte er, indem er jenem die Hand auf die Schulter legte, »wer wird denn seinen Kameraden die Bräute wegschnappen?«
    Lys schnellte sich herum und sprang auf. Zur Rechten sah er die Frau, zur Linken den Nordländer stehen, die sich zulächelten.
    »Da!« sagte er mit Lippen, die nicht nur von Reue und Verlegenheit, sondern auch ein wenig von Herzenstrauer verbittert schienen, »da hab ich's nun! Das ist die Folge, sobald man sich einmal selbst hingibt. Nun erfahr ich, wie es tut, wenn einer in die Verbannung geht. Ich wünsch euch übrigens Glück!« Damit wandte er sich rasch und ging fort.
    Als es später zur Tafel ging, welche zu einem mehr traulichen als prunkenden Mahle gerüstet war, und Lys nicht wieder erschien, fiel mir abermals die Sorge für die gute Agnes anheim. Sie hatte, lautlos neben mir stehend, dem Spiele zugeschaut, dann während der langen Pause meinen Arm ergriffen und war mit mir herumgegangen, ohne ein Wort zu sagen. Ich hatte noch in keiner Weise mit ihr über ihre Sache und ihren Zustand zu reden gewagt und fühlte auch kein Bedürfnis oder Geschick dazu; aber ich spürte wohl, wie es in ihrem Busen fortwährend arbeitete, zornige und wehmütige Seufzer sich bekämpften und miteinander zerdrückt und hinuntergepreßt wurden.
    Ich begleitete sie an den Tisch und kam an ihre Seite zu sitzen. Als jetzt Erikson eine kurze Rede hielt, das Ereignis der Verlobung verkündigte und die Bitte beifügte, die fröhliche Gesellschaft möchte sein Glück bei dieser guten Gelegenheit mitfeiern helfen, hörte ich, wie Agnes mitten im Geräusch der allgemeinen Überraschung, des Gläserklingens und Hochrufens tief aufatmete.
    Wie von einer Last befreit, saß sie einige Minuten in sich gekehrt; doch da Lys nicht wieder zum Vorschein kam, half ihr ja alles nichts; sein Abfall trat durch den Vorgang, den sie ahnte, nur um so heller ins Licht, und ihre einfache Seele war nicht geartet, auf sein Mißgeschick neue Pläne zu gründen. Doch bezwang sie ihren Kummer und hielt tapfer aus, ohne nach Hause zu begehren. Sie folgte mir sogar, als ich sie zum Anschlusse einlud, da sich alle von ihren Plätzen erhoben, um an der bräutlichen Wirtin glückwünschend und grüßend vorüberzuziehen.
    Rosalie war zunächst von ihren Verwandten umgeben, welche von der unerwarteten Verlobung nicht sonderlich erfreut schienen und ziemlich ernsthafte Gesichter machten; denn die kluge Frau hatte den Tag benutzt, sie in die Falle zu locken und sie zu zwingen, ihrem Verlobungsfeste in ehrbarer Weise beizuwohnen, ohne daß sie, schon der Menge der Gäste wegen, den geringsten Widerstand zu leisten vermochten mit unwillkommenen Warnungen oder Ratschlägen. Um so lieblich heiterer nahm sich die Zufriedene unter den

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