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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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übernachtet, ihre Engel in den Hühnerstall gesperrt und am Morgen auch wie Hühner abgezählt habe, ob keiner fehle. So seien auch zwei andere große Frauen, die zum Kongreß reisten, die Mutter Gottes von Czenstochau in Polen und die Maria zu den Einsiedeln, mit ihrem Gefolge bei einem Wirtshause zusammengetroffen und hätten im Garten das Mittagessen eingenommen. Als nun eine Schüssel mit Leipziger Lerchen, worauf eine gebratene Schnepfe gelegen, aufgetragen worden, habe die Polackin die Schüssel sofort an sich genommen und gesprochen Soviel sie wisse, sei sie die vornehmste Person am Tische und gebühre ihr hiemit das Störchlein, das da obenauf liege! Denn wegen des langen Schnabels habe sie die Schnepfe für einen jungen Storch gehalten, dieselbe auch mit der Gabel angestochen und auf ihren Teller getan. Die Schweizerin hingegen, über solche Anmaßung entrüstet, habe nur »Swips!« gemacht, und die gebratene Schnepfe sei lebendig und gefiedert vom Teller auf und davon geflogen. Inzwischen habe die Maria von Einsiedeln die Schüssel an sich genommen und sämtliche Lerchen auf ihren und der Ihrigen Teller gestreift, die Frau von Czenstochbau aber »Tirili« gepfiffen, und die Lerchen seien ebenso wie vorhin die Schnepfe aufgeflattert und singend in der Höhe verschwunden, und somit hätten sich die Herrschaften gegenseitig aus Eifersucht das Mittagessen verdorben und sich nachher mit einer dicken Milch begnügen müssen, wozu die schwarzbraunen Gesichter beider Damen sich possierlich verzogen haben.
    Agnes saß wie ein Kamerad zwischen uns, einen Arm auf den Tisch und die Wange auf die Hand gestützt. Sie konnte aber nicht recht klug daraus werden, wie alle die heiligen Marienfrauen, die doch nur ein und dasselbe seien, als so viele unterschiedene Personen herumreisen, sich versammeln und sogar bekriegen können, und sie gab ihrem Zweifel unverhohlenen Ausdruck.
    Der Winzer legte den Finger an die Nase und sagte nachdenklich: »Das ist eben das Mysterium, das Geheimnis, das wir mit unserm Verstande nicht zu erklären vermögen.«
    Allein der Bergkönig, der in fremdartigen Dingen um so beredter war, je weniger er mit seiner Kreuztragungsgruppe von Raffaels berühmtem Bilde wegkommen konnte, ergriff das Wort und sagte: »Die Sache bedeutet nach meiner Ansicht die ungeheure Allgemeinheit, Allgegenwart, Teilbarkeit und Wandlungsfähigkeit der Himmelskönigin; sie ist alles in allem, wie die Natur selbst, und steht dieser schon als Frau am nächsten auch in Hinsicht der unaufhörlichen Veränderlichkeit, wie sie denn auch außerdem in allen möglichen Gestalten aufzutreten liebt und sogar als streitbarer Soldat gesehen worden ist. Hierin gerade mag sie einen Zug ihres Geschlechtes bewähren, wenigstens der vorzüglicheren Mitglieder desselben, nämlich einen gewissen Hang, Mannskleider anzuziehen.«
    Einer der Glasmaler lachte bei diesen Worten. »Mir fällt ein drolliges Beispiel solcher Verkleidungskunst ein«, sagte er und erzählte: »In meiner Vaterstadt, in welcher besonders im Herbst große Märkte stattfinden, waren wir Gassenbuben scharenweise dahinter her, auf diesen Märkten die häufig auf die Erde rollenden Apfel, Birnen, Pflaumen und andere Früchte, wenn sie umgeladen und ausgemessen wurden, zu haschen und solche auch vom Haufen wegzustibitzen. Da lief dann immer ein Junge zwischen uns mit, den keiner kannte, der aber immer zuvorderst und am behendesten von allen war, sich die Taschen füllte, verschwand und bald wieder erschien, um sie abermals zu füllen. Auch wenn der neue Wein von den Bauern in die Stadt geführt und vor den Bürgerhäusern abgezapft wurde und wir mit langen hohlen Schilfrohren unter die Wagen hockten, die Röhrchen heimlich in die untergestellten Bütten und Kübel steckten, um den von den Küfern beim Abmessen einstweilen dorthin gegossenen überschüssigen Most aufzusaugen, war der unbekannte Junge bei der Hand, schluckte den Wein aber nicht hinunter, wie wir taten sondern ließ das vollgesogene Rohr weislich in eine Flasche ablaufen, die er in seiner Jacke verborgen trug. Der Kerl war nicht größer, aber etwas stärker als wir, hatte ein sonderbares ältliches Gesicht, aber eine helle Kinderstimme, und als wir ihn einmal drohend fragten, wie er eigentlich heiße, nannte er sich kurzweg Jochel Klein. Nun, dieser Jochel war ein künstlicher Gassenjunge, nämlich eine klein gewachsene arme Witwe aus der Vorstadt, die nichts zu beißen und zu brechen hatte und, von der Not

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