Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Herz, vergiß der Qual, nun muß sich alles, alles wenden« eins nach dem andern kam zum reinen und ausdrucksvollen Vortrag, wobei der Gottesmacher mit seinem hellen Tenor die Oberstimme führte, der Bergkönig den Baß sang und die Glasmaler andächtig dazwischen mitliefen, zuverlässig auf Ton und Takt haltend.
Agnes lauschte unverwandt, und altes, was sie hörte, schien wie für sie gemacht und aus ihrer eigenen Brust zu kommen. Indem sie nach jedem Liede erleichternde Atemzüge tat, wurde sie zusehends ruhiger und freier. Ein sonniger Frohsinn ging um unsere kleine, halb verborgene Tafelrunde; es war, wie wenn alle stillschweigend fühlten, daß ein bedrängtes Herz sich entlastete, obgleich eigentlich außer mir keiner etwas wußte. Jetzt trat noch der herumstreifende Erikson herzu, entdeckte unsere Niederlassung und eilte, als er die Art derselben erkannte, von dannen, um einige Flaschen französischen Schaumweines herbeizuschaffen, worauf er seinen vorsorglichen Rundgang im Dienste der Gebieterin des Hauses fortsetzte.
Agnes und die meisten von uns hatten noch niemals Champagner gesehen, noch weniger getrunken, und schon die nach damaliger Mode noch ganz hohen Gläser, in welchen die Perlen unaufhörlich stiegen, erhöhten unsere Stimmung bis zur Feierlichkeit. Nun kam Rosalie selbst und brachte der Agnes einen Teller süßes Backwerk und Früchte und empfahl uns, mit der feinen Diana ja recht fröhlich und galant zu sein.
Das waren wir denn auch in der besten und ziemlichsten Weise. Vor allen bezeigte sich der Gottesmacher aufmerksam und höflich gegen sie; aber auch die andern wurden ebenso aufgeräumt, als sie in heiterer Ehrerbietung verharrten, stolz darauf, daß eine so poetisch schöne Erscheinung, wie sie's nannten, ihre kleine Kompanie zierte. Als alle auf ihr Wohl mit ihr anstießen, trank sie den schlanken Kelch bis auf den Grund leer, oder vielmehr floß ihr die perlende Süße wie ein Schlänglein in den Mund, ohne daß sie es wußte; wenigstens behauptete der Gottesmacher nachher, er habe an ihrer weißen Kehle gesehen, wie es durchgeschlüpft sei. Nun fing sie an zu zwitschern und meinte, hier wäre es gut, es sei ihr zu Mut, wie wenn sie aus winterlichem Schlackerwetter in ein warmes Stübchen gekommen wäre; aber sie wisse schon, was das sei, immer machten einige gute Menschen zusammen ein warmes Stübchen aus, auch, ohne Ofen, Dach und Fenster!
»Alle guten Leute sollen leben!« rief sie und trank, als die Gläser zusammenklangen, das ihrige abermals auf einen Zug leer und setzte hinzu: »Ei, wie lieb ist dieser Wein! Der ist auch ein guter Geist!«
Das gefiel uns ausnehmend wohl; die vier Sänger huben ohne Verabredung alsogleich mit voller Kraft an: »Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben«. Kaum war das ehrliche Trinklied verklungen, so sangen sie, auf eine ernst gehaltene Weise übergehend, obgleich nicht in schleppendem Tempo, das andere schöne Lied von Claudius:
»Der Mensch lebt und bestehet Nur eine kleine Zeit,
Und alle Welt vergehet
Mit ihrer Herrlichkeit« usw.
Als dann die Motette mit dem schwungvollen Halleluja Amen schloß und bei uns eine plötzliche Stille eintrat, hörte man aus den übrigen Räumen her, wie aus der Ferne, das Geräusch der summenden Stimmen, durcheinandertönender Lieder und einer Tanzmusik, welche dunkel fortrollende Tonmasse übrigens in jeder Pause hörbar wurde, die wir machten. In diesem Augenblicke aber machte uns die Sache durch den Kontrast einen feierlichen Eindruck; es war, wie wenn wir den Lärmen der Welt rauschen hörten, während wir in traulicher Beschaulichkeit in unserm Myrten-und Orangenwäldchen saßen. Wir horchten eine Weile mit Behagen auf das wunderliche Tosen und gerieten dann in ein unterhaltliches Gespräch, in welchem wir die Köpfe über dem Tische zusammensteckten und jeder eine heitere oder traurige Geschichte oder Erinnerung zum Vorschein brachte, besonders aber der Gottesmacher eine Menge anmutiger Schwänke von der Mutter Gottes zu erzählen wußte, wie sie einmal einen Kongreß ihrer Vertreterinnen an den berühmtesten Wallfahrtsorten der Welt veranstaltet habe und wie es da zugegangen und ein großer Zwist entstanden sei, wie nicht anders möglich, wo so viele Frauenzimmer zusammenkämen; was sie alles auf der Hin-und Rückreise erlebt und verrichtet hätten; wie die eine als große Fürstin mit verschwenderischer Pracht, die andere aber wie ein schäbiger Filz gereist sei und in den Herbergen, wo sie
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