Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
Selbstanklagen vergehen, wie wenn er das entsetzliche Feuer selber angezündet hätte! Ich habe den unseligen Pagen, dem das Goldausstreuen so schlecht bekommen ist, sogleich veranlaßt, nach seiner Wohnung zu gehen und seine Sachen zu packen; allein mich dünkt, man sollte trachten, daß er auch wiederkommen und weiterlernen kann, sobald das Mütterchen versorgt und beruhigt ist. Mit einem Wort ich möchte für den Unglücksvogel eine bescheidene Pension stiften, die ein paar Jährchen hinreicht, und hier den Anfang machen! Ich lege die Karten aus, halte Bank, wie ich es leider an Badeorten gesehen habe, als ich meine seligen Eltern dahin begleiten mußte. Wer verliert, muß es verscherzen; wer gewinnt, legt die Hälfte des Gewinnes in diese Schale, die den Pensionsfonds vorstellt! Spielen dürfen nur Nichtkünstler; Herr Lys ist ausgenommen, der nicht von seiner Kunst lebt, wie ich höre!«
    Nach diesen Worten zog sie eine beschwerte Börse und legte sie vor sich auf den Tisch. Dann mischte sie die Karten und rief: »Also machen Sie Ihr Spiel, Herren und Damen! Rot oder Schwarz?«
    Die etwas überraschte Gesellschaft zögerte ein paar Sekunden; da setzte Lys ritterlich ein Goldstück und gewann. Rosalie zahlte ihm die Hälfte und warf die andere in eine geleerte Zuckerschale, die gerade zur Hand war.
    »Schönsten Dank, Herr Lys! Wer setzt weiter?« sagte sie fröhlich und huldvoll.
    Ein älterer Mann, den sie mit »Brav, Herr Oheim!« anredete, setzte ein Zweiguldenstück und gewann auch. Sie legte einen Gulden in die Schale und gab ihm den andern samt seinem Einsatz. Drei oder vier Damen, hiedurch ermutigt, wagten gleichzeitig jede ein Guldenstück und verloren, und Rosalie warf lachend für jede einen halben Gulden in das Gefäß. Die Frauen zu rächen, wie er sagte, legte Lys abermals einen Louisdor hin, worauf einige Herren sich mit doppelten Talerstücken einstellten und auch die Frauen sich wieder mit einzelnen halben, ja ganzen Gulden hervorwagten. Das Gewinnen und Verlieren wechselte ziemlich gleichmäßig, aber stets fiel etwas in die Zuckerbüchse, und wenn auch langsam, wuchs der Pensionsfonds, wie Rosalie es nannte, doch sichtbarlich an.
    Doch Lys rief jetzt: »Das geht zu sachte voran!« und setzte vier Goldstücke, den Rest des Bargeldes, das er in seiner Börse trug. »Schönen Dank abermals!« sagte Rosalie, als sie gewann und die Hälfte in die Schale warf. Es war nicht recht ersichtlich, ob Lys sich mit ihr freute; doch ergriff er einen Stuhl und setzte sich der schönen Frau gegenüber, indem er rief: »Noch immer besser muß es kommen!« Er pflegte niemals auszugehen, ohne eine größere Summe Geldes in Noten bei sich zu tragen, einer langjährigen Reisegewohnheit zufolge. Auch jetzt hielt er die Brieftasche in seinen Gewändern irgendwo versorgt, zog sie hervor und legte eine Note von hundert rheinischen Gulden hin, dann, als er sie verlor, die zweite, dritte und so weiter bis zur zehnten, welches die letzte war. Der ganze Vorgang, Zug um Zug, dauerte nicht länger als zwei Minuten, so daß Rosalie mit einem einzigen strahlenden Blicke und einem einzigen Lächeln, das sie, fast ohne zu atmen, auf Lysen gerichtet hielt, ausreichte von der ersten bis zur letzten Note, welche sie ohne Abzug einer Hälfte vorweg in die Schale warf. Die blitzartige Schnelligkeit, mit welcher der Zufall spielte, verlieh der Szene eine eigentümliche Anmut und brachte den Eindruck hervor, wie wenn die rosige Bankhalterin mehr als Brot essen könnte, das heißt geheimnisvoller Künste mächtig wäre.
    »Wir haben genug!« rief sie, »tausend Gulden ohne das Bare! Mehr als fünfhundert Gulden soll ein so junger Bursch im Jahr nicht vertun. Also können wir ihn zwei Jahre durchbringen und wollen das Geld beim Bankier hinterlegen! Morgen aber soll er vorerst nach Hause reisen!«
    Dann malte sie sich und uns die Erkennungsszene aus, welche zwischen der abgebrannten Mutter und dem unverhofft mit Hilfe erscheinenden Sohne stattfinden werde; sie beschrieb nochmals, wie der blühende Junge, fern von der Heimat, mitten im Jubel eines Maskenfestes von der Schreckenskunde überfallen, verzweifelt dagestanden und mit den bitteren Tränen gekämpft habe. Sie war in ihrer Freude jetzt so schön, daß sie den Höhepunkt weiblichen Reizes erreichte und einen Abglanz ihrer Schönheit auf Lysens Gesicht warf, als sie ihm über den Tisch weg die Hand bot, die seinige drückte und herzlich schüttelte, indem sie sagte: »Freuen Sie sich

Weitere Kostenlose Bücher