Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
verdrossenen Vettern und Basen aus.
Nun war es aber ein ergreifender Anblick, wie in der bunten Reihe der vielgestaltigen Gäste auch die Agnes herantrat und das verlassene Weib dem siegreichen seinen Gruß darbrachte. Sie beugte sich nieder und küßte der Braut die Hand wie das demütige Unglück dem Glücke. Rosalie sah sie betroffen an und drückte ihr dann teilnehmend die Hand. Sie hatte das Mädchen ganz vergessen, wie sie in diesem Augenblick auch den schlimmen Lys schon vergessen, und man konnte bemerken, daß sie sich irgend etwas vornahm; allein die nächste Sekunde entführte ihr das weitereilende Trauerwesen und gab sie selbst ihrer glückseligen Zerstreuung zurück.
Nachdem alle Gäste ihre Plätze wieder eingenommen und eine gleichmäßige, schließlich auch von den doch lebelustigen Vettern geteilte Heiterkeit sich eingestellt, gab es bald einen neuen Unterbruch. Die Kunde von dem Glückswechsel eines Genossen war rasch in das große Lustlager im Walde gedrungen, wo die unverwüstliche Jugend noch immer hauste. So marschierte denn jetzt mit Trommel und Pfeife und fliegender Fahne ein Zug Landsknechte zur einen Türe herein, während in der anderen eine Schar lustiger Zunft-und Handwerksgesellen mit ihrer Musik erschien. Beide Parteien zogen um die Tafel herum, mit Hüteschwingen und lautem Zuruf, und führten sich auf biedere Art zu einem Ehrentrunk ein. Die bisherige Ordnung ward dadurch aufgehoben, und Erikson hatte samt den Hausbedienten genug zu tun, den Zuwachs unterzubringen, der so ziemlich alle Räume füllte. Doch ging alles mit froher und guter Laune vonstatten, die Denkwürdigkeit des Tages steigerte sich zusehends.
Ich fragte Agnes, was sie vornehmen wolle, ob sie nach Hause zu kehren oder noch zu bleiben wünsche? Mir wäre das erstere nicht unwillkommen gewesen; denn so lieblich und ehrenvoll mich die fortgesetzte Obhut eines so unschuldig reizenden Geschöpfes dünkte, empfand ich doch nach Art junger Deutschgesellen den Wunsch, das bisher Versäumte nachzuholen und die letzten Stunden doch noch unter meinesgleichen, ein Freier unter Freien, zu verbringen. Agnes zögerte mit ihrem Entschlusse; sie schauderte heimlich vor dem Alleinsein in ihrem Hause, wo sie keines rechten Trostes gewärtig war, und mochte sich auch sträuben, die Stelle zu verlassen, wo in jüngster Zeit noch der Geliebte geweilt und sie in neuer Hoffnung gelebt hatte. So führte ich sie einstweilen in den verschiedenen Gemächern, zwischen den malerischen Zechergruppen herum, überall wo es etwas Merkwürdiges zu sehen gab, wie der unermüdliche Einfall einzelner oder vieler es stets neu gebar.
Auf unserer Wanderung hörten wir einen wohltönenden vierstimmigen Gesang und gingen ihm nach. Am Ende eines schwach erleuchteten Flures fanden wir einen erkerartigen Ausbau, der wegen seiner Fenster zu einer kleinen Orangerie diente; denn er war mit etwa einem Dutzend Orangen-, Granat-und Myrtenbäumen besetzt, zwischen welche der Gottesmacher und seine Leute ein Tischchen gestellt und sich niedergelassen hatten. Über dem Eingange hing ein altes eisernes Schenkezeichen in Gestalt eines Pentagramms oder Drudenfußes, das von ihnen in irgendeinem Winkel aufgefunden und herbeigebracht worden. Da saßen sie nun, der rheinische Winzer, der Bergkönig und die zwei glasmalenden Meistersinger, und zeigten, daß sie im vierstimmigen Zusammensingen nicht minder geübt waren als im Saitenspiel.
Als wir vor ihrer Herberge standen und zuhörten, nötigten sie uns sofort, bei ihnen Platz zu nehmen, indem sie zusammenrückten und Stühle herbeiholten.
Zu meiner Verwunderung ließ Agnes sich das gern gefallen; der Gesang schien ihr Herz anzulocken, zu beschäftigen und still zu machen. Um jene Zeit waren einige alte deutsche Volkslieder zuerst wieder hervorgezogen und von lebenden Komponisten sangbar gemacht worden. Ebenso wurde, was von Eichendorff, Uhland, Kerner, Heine, Wilhelm Müller im Tone jener Lieder vorhanden, von den Sangmeistern in mehr oder minder schwermütige Noten gesetzt und eben als das Neuste von der geschulten Männerjugend gesungen, eh es, teils zum zweiten Male, ins Volk überging. Noch nie hatte Agnes dergleichen gehört. Soeben war das Lied »Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum« zu Ende, und es kam »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht«. Alte Scheidelieder, Todeskundschaften, Klagen um entschwundenes Glück, Lenzverheißungen, die Lieder vom Mühlrad und vom Tannenbaum, Uhlands »Nun, armes
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