Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
nicht mehr zurück. Wir harrten seiner beinah eine Stunde; Agnes verhielt sich schweigend und gab mir kaum eine Antwort, wenn ich das Wort an sie richtete; auch mit andern wollte sie weder plaudern noch tanzen. Zuletzt, da ich sah, daß sie des Wartens müde war und wieder zu leiden begann, schlug ich ihr vor, in die anderen Teile des Hauses zu gehen und zu betrachten, was alles dort vorfiele. Das nahm sie an, und ich führte sie langsam durch verschiedene Räume, wo sich überall einzelne Gesellschaften vergnügten, bis wir in ein Kabinett gelangten, in welchem an zwei oder drei kleinen Tischen behaglich gespielt wurde. An einem derselben saß Lys, der Hausherrin gegenüber und zwischen zwei älteren Herren, und spielte eine Partie Whist; denn die letzteren gehörten zu Rosaliens Verwandten, welchen sie die Zeit so angenehm als möglich zu vertreiben wünschte, und natürlich hatte sich Lys beeilt, das Opfer mit ihr zu teilen. Er war so glücklich und in seine Lage vertieft, daß er gar nicht bemerkte, wie wir dem Spiele zuschauten und sich noch andere Zuschauer sammelten.
Die Partie ging zu Ende; Lys und Rosalie hatten den alten Herren einige Louisdors abgenommen, was den Unverbesserlichen als ein günstiges Zeichen so bewegte, daß er seine Freude nicht verbergen konnte. Doch Rosalie nahm die Karten zusammen und bat die Spieler, zu welchen auch die von den andern Tischen getreten waren, eine kleine Rede von ihr anzuhören.
»Ich habe mich«, begann sie mit artiger Beredsamkeit, »bisher arg gegen die Kunst versündigt, indem ich, obgleich mit Glücksgütern gesegnet, soviel wie nichts für sie getan habe! Ich bin um so tiefer beschämt, als es mir so gut unter den Künstlern ergeht, und ich glaube auch schon meine Dankbarkeit für die ehrenvolle Anwesenheit so fröhlicher Musenkinder am besten einigermaßen abzutragen, wenn ich endlich beginne, etwas Nützliches zu tun.
Nun aber ist es eine bekannte Eigenschaft der Protektoren und Gutesstifter, daß sie für ihre Sache stets Teilnehmer anwerben und möglichst ins Breite wirken müssen, damit das Gute um so mehr Boden gewinne. So hören Sie denn, werte Freunde! Am heutigen Nachmittage, als ich um das Haus herumging, irgendeinen Dienstboten zu rufen, fand ich in einer verborgenen Ecke des Gartens den jüngsten und zierlichsten unserer Gäste, den Pagen Gold des Herren Bergkönigs, der am Zuge so großmütig seine Schätze ausgestreut hat. Der noch nicht siebzehn Jahre zählende Knabe stand bei seinem Genossen, dem Pagen Silber, einen offenen Brief in der Hand, bleich und entsetzt und schwere heiße Tränen in seinen hübschen Augen zerdrückend. In der offenen und teilnehmenden Stimmung, in der wir uns ja alle befinden, konnte ich mich nicht enthalten, hinzuzutreten und mich nach der Ursache solchen Leidwesens freundlich zu erkundigen. Da vernehme ich, daß schon in den gestrigen Abendzeitungen die Nachricht von einem großen Feuer gestanden hat, welches seit Tagen in der fernen Vaterstadt des trauernden Knaben watet, während wir in unserm Freudengedränge hievon keine Ahnung hatten. Und heute bringt der Silberpage, der in der Morgenfrühe ordentlich schlafen gegangen ist und mittags seinen Freund abholen wollte – denn beide sind Zöglinge unserer Akademie und arbeiten nebeneinander –, heute nachmittags bringt er jenen Brief hier hinaus, wo er den Freund aufgesucht hat. In dem Briefe steht, daß auch die Straße, darin jener geboren und seine alternde Mutter wohnt, bereits in Asche liegt und die Mutter ohne Obdach ist. Ich lasse durch Herren Erikson in der Eile weitere Nachfrage halten. Der blutjunge Mensch, ungewöhnlich begabt, ist in ungewohnt frühem Alter hierhergesandt worden, um mit Hilfe einiger geringer Sparmittel sich frühzeitig emporzubringen, ein Wagnis, welches sich bis jetzt durch den glücklichen Fleiß des Schülers zu rechtfertigen schien. Nun ist alles in Frage gestellt! Nicht nur sind vielleicht die Existenzmittel durch das Feuer für immer verloren, sondern der arme Gesell kann im Augenblicke nicht einmal hineilen und sein Mütterchen in dem Elend und Wirrsal aufsuchen, weil er die paar Taler, die hiezu dienen würden, an die Kosten dieses Karnevals gewendet hat, überredet von andern, die seine glückliche Knabengestalt nicht entbehren mochten! und weil er ohnedies gerade einer Sendung von Hause entgegensah, die nun nicht kommen kann.
Und eben über seinen vermeintlichen Leichtsinn macht er sich die bittersten Vorwürfe und will in
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