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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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zustande gebracht. Das Können aber ist von zu leibhafter Schwere und verursacht tausend Trübungen und Ungleichheiten zwischen den Wollenden; es ruft die tendenziöse Kritik hervor und steht der reinen Absicht fort und fort feindlich entgegen. Das moderne Epos zeigt uns die richtige Bahn! In ihm zeigen uns begeisterte Seher, wie durch dünnere oder dickere Bände hindurch die unbefleckte, unschuldige, himmlischreine Absicht geführt werden kann, ohne je auf die finsteren Mächte irdischen Könnens zu stoßen! Eine goldschnittheitere ewige Gleichheit herrscht zwischen der Brüderschaft der Wollenden. Mühelos und ohne Kummer teilen sie einige tausend Zeilen in Gesänge und Strophen ab, und wer kann ermessen, wie nahe die Zeit ist, wo auch die Dichtung die zu schweren Wortzeilen wegwirft, zu jenem Dezimalsystem der leichtbeschwingten Striche greift und mit der bildenden Kunst in einer identischen äußeren Form sich vermählt? Alsdann wird der reine Schöpfer-und Dichtergeist, der in jedem Bürger schlummert, durch keine Schranke mehr gehemmt, zutage treten, und wo sich zwei Städtebewohner träfen, wäre der Gruß hörbar: ›Dichter?‹ – ›Dichter!‹ oder: ›Künstler?‹ – ›Künstler!‹ Ein zusammengesetzter Senat geprüfter Buchbinder und Rahmenvergolder würde in wöchentlichen olympischen Spielen die Würde des Prachteinbandes und des goldenen Rahmens erteilen, nachdem sie sich eidlich verpflichtet, während der Dauer ihres Richteramtes selbst keine Epen und keine Bilder zu machen, und ganze Kohorten verbildeter Verleger würden die gekrönten Werke in stündlich erfolgenden Auflagen über ganz Deutschland hin so tiefsinnig verlegen, daß sie kein Teufel wiederholen könnte!«
    »Mann, hör auf!« rief Rosalie nochmals, »ich kenne dich nicht mehr!«
    »Laß es gut sein!« sagte Erikson; »dieses Geschwätz sei für einmal mein gerührter Abschied von der Kunst! Von nun an wollen wir dergleichen hinter uns werfen und uns eines wohlangewandten Lebens befleißen!«
    Dann nahm er mich mit ernsterm Blicke bei der Hand, führte mich hinter die große Spinnwebe und sagte leise: »Lys kommt nicht mehr zurück; ich habe seine Bilder zusammenrollen, in Kisten packen und ihm in die Heimat schicken müssen, ebenso seine Bücher und Möbeln. Er hat mir geschrieben, er wolle als Kandidat für die Deputiertenkammer seines Landes auftreten und werde nie mehr malen, weil man die Augen dazu brauche, was ich nicht verstehe. So fällt er aus einer Torheit in die andere, und ich möchte weinen über ihn. Und nun komme ich daher und finde dich an einem abenteuerlichen Grillenfang stehen, wie die Welt vielleicht noch keinen zweiten geboren hat!
    Was soll das Gekritzel? Frisch, halte dich oben, mache dich heraus aus dem verfluchten Garne! Da ist wenigstens ein Loch!« Mit diesen Worten stieß er die Faust durch das Papier und riß es kreuz und quer auseinander Ich reichte ihm dankbar die Hand; denn seine Worte und energische Bewegung bewiesen mir seine verstehende Teilnahme.
    Nachdem wir hinter der Kulisse hervorgetreten und das Loch auch von vorn betrachtet hatten, wurde rasch Abschied genommen, natürlich mit dem Vorbehalte dereinstigen Wiedersehens, obgleich ich von den vier Personen keine einzige je wieder erblickt habe. Eine Minute später war es wieder totenstill in meinem Gemache, und die weißgestrichene Türe, durch welche die schönen Frauen und Männer verschwunden, flimmerte mir vor den Augen wie eine Leinwand, von welcher mit einem Zuge ein Bild warmen Lebens weggewischt worden ist.

Vierter Band
Erstes Kapitel
Der borghesische Fechter
    Auf dem niedrigen Ofen meines Arbeitszimmers stand eine fast drei Fuß hohe Gipsfigur des borghesischen Fechters. Der Abguß war vorzüglich, obschon etwas angebräunt; denn er stammte von einem frühern Insassen her und ging von einem Nachfolger zum andern. Jeder übernahm den rüstigen Kämpfer gegen eine Entschädigung an die Wirtsleute, die so von der Arbeit des wackern Agasias nach zweitausend Jahren noch einen periodischen Nutzen zu ziehen wußten.
    Als meine Augen von der Türe, hinter welcher Erikson und Reinhold mit ihren Frauen verschwunden waren, hinwegglitten, fielen sie auf den danebenstehenden Fechter und blieben an dem schönen Bildwerke haften. Ich trat ihm näher wie einem willkommenen Hausgenossen in einsamer Stunde und schaute ihn zum ersten Male vielleicht recht an. Rasch räumte ich Bilder und Staffeleien weg, rückte sie an die Wände, trug die Figur in die

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