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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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bloße Liebhaberei. Ich grübelte und grübelte, konnte aber dem grauen Wesen, das mich beschlich, nicht auf den Grund kommen. Dazu kam das Gefühl der Vereinsamung; Lys war fort und verloren, wahrscheinlich auch für die Kunst, da er in letzter Zeit hatte durchblicken lassen, daß er bei der ersten geringen Erschütterung das Glas fallen lassen werde. Aber auch Erikson hatte mir gestern in einem flüchtig der Freude abgewonnenen Augenblick anvertraut, er beabsichtige gleich nach der Hochzeit seine verzwickte Malerei an den Nagel zu hängen und mit den großen Mitteln seiner Frau das Seefahrtsgeschäft seines heimatlichen Hauses wiederaufzunehmen und in Flor zu setzen. Die Zeit sei günstig, und in mäßiger Frist wolle er selbst reich sein. Und nun wackelte ich auch, und alle drei Peripherie-Germanen, die wir uns in gewissem Sinne besser geschienen hatten als die feste große Heerschar des Binnenvolkes, fielen ab wie Feilenspäne, fahren auseinander, um keiner den andern wahrscheinlich jemals wiederzusehen!
    Fröstelnd schleppte ich, um eine Zuflucht zu suchen, einen neuen, kaum angefangenen Karton hervor, eine auf den Rahmen gespannte graue Papierfläche von mindestens acht Schuh Breite und entsprechender Höhe. Es war nichts darauf zu sehen als ein begonnener Vordergrund mit je einem verwitterten Fichtenbaum zu beiden Seiten des künftigen Bildes, dessen Idee ich damals vor Monaten aufgegeben und die mir gänzlich aus der Erinnerung geschwunden ist. Um nur etwas zu tun und vielleicht meine Gedanken zu beleben, machte ich mich daran, den einen der zwei mit Kohle entworfenen Bäume mit der Schilffeder auszuführen, gewärtig, was dann weiter werden wollte. Aber kaum hatte ich eine halbe Stunde gezeichnet und ein paar Aste mit dem einförmigen Nadelwerke bekleidet, so versank ich in eine tiefe Zerstreuung und strichelte gedankenlos daneben, wie wenn man die Feder probiert. An diese Kritzelei setzte sich nach und nach ein unendliches Gewebe von Federstrichen, welches ich jeden Tag in verlorenem Hinbrüten weiterspann, sooft ich zur Arbeit anheben wollte, bis das Unwesen wie ein ungeheures graues Spinnennetz den größten Teil der Fläche bedeckte.
    Betrachtete man jedoch das Wirrsal genauer, so entdeckte man den löblichsten Zusammenhang und Fleiß darin, indem es in einem fortgesetzten Zuge von Federstrichen und Krümmungen, welche vielleicht Tausende von Ellen ausmachten, ein Labyrinth bildete, das vom Anfangspunkte bis zum Ende zu verfolgen war. Zuweilen zeigte sich eine neue Manier, gewissermaßen eine neue Epoche der Arbeit; neue Muster und Motive, oft zart und anmutig, tauchten auf, und wenn die Summe von Aufmerksamkeit, Zweckmäßigkeit und Beharrlichkeit, welche zu der unsinnigen Mosaik erforderlich war, auf eine wirkliche Arbeit verwendet worden wäre, so hätte ich gewiß etwas Sehenswertes liefern müssen. Nur hier und da zeigten sich kleinere oder größere Stockungen, gewisse Verknotungen in den Irrgängen meiner zerstreuten gramseligen Seele, und die sorgsame Art, wie die Feder sich aus der Verlegenheit zu ziehen gesucht, bewies, wie das träumende Bewußtsein in dem Netze gefangen war. So ging es Tage, Wochen hindurch, und die einzige Abwechslung, wenn ich zu Hause war, bestand darin, daß ich, mit der Stirne gegen das Fenster gestützt, den Zug der Wolken verfolgte, ihre Bildung betrachtete und indessen mit den Gedanken in der Ferne schweifte.
    So arbeitete ich eines Tages wieder mit eingeschlummerter Seele, aber großem Scharfsinn an der kolossalen Kritzelei, als an die Türe geklopft wurde.
    Ich erschrak und fahr zusammen; aber schon war es zu spät, den Rahmen wegzuschaffen. Reinhold und Agnes treten herein, und kaum hatten wir uns begrüßt, so erschien Erikson mit seiner nunmehrigen Frau Rosalie, und ich sah mich von Geräusch, Leben und Schönheit wachgerüttelt. Beide Paare hatten nämlich die Hochzeit bereits hinter sich und in der Stille abgetan, Reinhold aus Ungeduld, um seine Liebesbeute rasch zu bergen, Erikson aber, weil die Verwandten Rosaliens und die Geistlichen erst nachträglich konfessionelle Schwierigkeiten zu machen versuchten. Allein Rosalie war, im geheimen und von einflußreicher Seite gefördert, schnell zu Eriksons Glaubenspartei übergetreten, behauptend, wie Paris seinerzeit eine Messe, sei ihr Schatz eine Beichte wert und noch eher, und die Trauung war alsobald gefolgt. »Wir sind demnach schon auf der Hochzeitsreise!« schloß Erikson seinen kurzen Bericht; »einstweilen

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