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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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noch größerm Eifer bedacht als die übrigen, und sich nicht begnügend mit meiner unmittelbaren Freigebigkeit, errichtete er mit großer Einsicht ein Schuldverhältnis zwischen mir und ihm, indem er sich haushälterisch aus meinem Gelde eine kleine Kasse ansammelte, aus welcher er mir, wenn ich augenblicklich nicht über mein Kästchen konnte, mäßige Vorschüsse machte, die wir gemeinsam verbrauchten und die er in ein niedlich angefertigtes Büchelchen eintrug, dessen Seiten mit Soll und Haben ansehnlich überschrieben waren. Überdies wußte er mir eine Menge kindischer Gegenstände zu verkaufen, deren Betrag er fleißig in sein Buch setzte. Seine Gewandtheit in den verschiedensten Übungen verwertete er ebenfalls; er war mein dienstbarer Dämon, der alles konnte und alles in Angriff nahm, was wir wünschten, aber jede Dienstleistung durch kleine Münzsorten in meinem Schuldregister bezeichnete. Auf Spaziergängen reizte er mich stets, seine Geschicklichkeit auf die Probe zu stellen: »Soll ich mit diesem Steinchen jenes dürre Blatt treffen?« sagte er, und ich erwiderte: »Das kannst du nicht!« – »Willst du mir einen Batzen schuldig sein, wenn ich es tue?« – »Ja!« und er traf es und erschwerte unter den gleichen Bedingungen die Aufgabe manchmal dreimal hintereinander, ohne sie je zu verfehlen. Dann schrieb er die Summe genau in sein Buch mit allerliebsten wohlgestalteten Zahlen, was mir solches Vergnügen gewährte, daß ich laut auflachte. Er aber sagte ernsthaft, da sei gar nichts zu lachen, ich sollte bedenken, daß ich alles einmal berichtigen müßte und daß sein Büchlein eine ordentliche Bedeutung und Gültigkeit hätte vor jedem Geschäftsmann! Dann veranlaßte er mich wieder zu zahlreichen Wetten, ob zum Beispiel ein Vogel sich auf diesen oder jenen Pfahl setzen, ob ein vom Winde bewegter Baum sich das nächste Mal so oder so tief niederbeugen, ob am Gestade des Sees mit dem fünften oder sechsten Wellenschlage eine große Welle ankommen würde. Wenn bei diesem Spiele der Zufall mich manchmal gewinnen ließ, so setzte er in seinem Buche auf die Seite des Soll mit wichtiger Miene ein knappes Zählchen, welches sich in seiner Einsamkeit höchst wunderlich ausnahm und mir neuen Stoff zum Lachen, ihm hingegen zu ernsthaften Redensarten gab. Er suchte mich eifrigst zu überzeugen, daß Schulden eine wichtige Ehrensache seien, und eines Tages, als der Sommer sich seinem Ende nahte, überraschte mich Meierlein mit der Nachricht, daß er nun »abgerechnet« habe, und zeigte mir eine runde Zahl von mehreren Gulden nebst einigen Kreuzern und Pfennigen und bemerkte dabei, daß es nun schicklich wäre, wenn ich darauf dächte, ihm den Betrag einzuhändigen, indem er wünsche, aus seinen Ersparnissen sich ein schönes Buch zu kaufen.
    Doch erwähnte er hierüber die nächsten zwei Wochen nichts mehr und legte inzwischen eine neue Rechnung an, welches er mit vermehrtem Ernste tat und wobei er ein seltsames Betragen annahm. Er wurde nicht unfreundlich, aber die alte Fröhlichkeit und Unbefangenheit unseres Verkehres war verschwunden. Eine große Niedergeschlagenheit beschlich mich, welche Meierlein durchaus nicht zu stören schien; vielmehr verfiel er selber in einen elegischen Ton, ungefähr wie er Abraham überkommen haben mochte, als er mit seinem Sohne Isaak den vermeintlich letzten Gang tat. Nach einiger Zeit wiederholte er seine Mahnung, diesmal mit Entschiedenheit, doch nicht unfreundlich, sondern mit einer gewissen Wehmut und väterlichem Ernste.
    Nun erschrak ich und fühlte eine heftige Beklemmung, indessen ich versprach, die Sache abzumachen. Jedoch konnte ich mich nicht ermannen, die Summe zu nehmen, und verlor selbst den Mut, meine gewöhnlichen Eingriffe fortzusetzen. Das Gefühl meiner Lage hatte sich jetzt ganz ausgebildet; ich schlich trübselig umher und wagte nicht zu denken, was nun kommen sollte.
    Ich empfand eine beängstigende Abhängigkeit gegen meinen Freund; seine Gegenwart war mir drückend, seine Abwesenheit aber peinlich, da es mich immer zu ihm hintrieb, um nicht allein zu sein und vielleicht eine Gelegenheit zu finden, ihm alles zu gestehen und bei seiner Vernunft und Einsicht Rat und Trost zu finden. Aber er hütete sich wohl, mir diese Gelegenheit zu bieten, wurde immer gemessener im Umgange und zog sich zuletzt ganz zurück, mich nur aufsuchend, um seine Forderung nun mit kurzen, fast feindlichen Worten zu wiederholen. Er mochte ahnen, daß eine Krisis für mich nahe

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