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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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entstanden?« Da reckte sich der Bursche empor und sagte: »Ich muß mir ausbitten, ganz in der Ordnung!« Die Mutter aber fragte mich streng, da ich ganz verblüfft und in neuer Beklemmung dagestanden: »Bist du dem Jungen dieses schuldig und auf welche Weise? Sprich!« Ich stotterte verlegen ja und einige Tatsachen über die Natur der Schulden. Da hatte sie schon genug und jagte den Meierlein mit seinem Buche aus der Stube, daß er sich mit frechen Gebärden davonmachte, nachdem er noch einen drohenden Blick auf mich geworfen. Nachher befragte sie mich weitläufig über den ganzen Hergang und geriet in großen Zorn; denn es war vorzüglich das ehrbare Aussehen dieses Knaben gewesen, welches in ihr von meinen Vergehungen keine Ahnung aufkommen ließ. Sodann nahm sie Gelegenheit, gründlicher auf alles Geschehene einzutreten und mir eindringliche Vorstellungen zu machen, aber nicht mehr im Tone der strengen und strafenden Richterin, sondern der mütterlichen Freundin, die bereits verziehen hat. Und nun war alles gut.
    Allein doch nicht alles. Denn als ich nun wieder in die Schule trat, bemerkte ich, daß mehrere Schüler, um Meierlein versammelt, die Köpfe zusammensteckten und mich höhnisch ansahen. Ich ahnte nichts Gutes, und als die erste Stunde zu Ende war, welche der Rektor der Schule selbst gegeben, trat mein Gläubiger respektvoll vor ihn hin, sein Büchlein in der Hand, und erhob in geläufiger Rede seine Anklage wider mich. Alles war gespannt und horchte auf, ich saß wie auf Kohlen. Der Rektor stutzte, durchsah das Heft und begann das Verhör, welches Meierlein zu beherrschen suchte. Aber der Vorsteher gebot ihm Stille und forderte mich zum Sprechen auf. Ich gab einige kümmerliche Nachricht und hätte gern alles verschwiegen; doch der Mann rief plötzlich: »Genug, ihr seid beide Taugenichtse und werdet bestraft!« Damit trat er zu den aufliegenden Tabellen und bedachte jeden von uns mit einer scharfen Note. Meierlein sagte betreten: »Aber, Herr Professor –« »Still!« rief dieser und nahm das verhängnisvolle Buch, welches er in tausend Stücke zerriß, »wenn noch ein Wort darüber verlautet oder sich dergleichen wiederholt, so werdet ihr eingesperrt und als ein paar recht bedenkliche Gesellen abgestraft! Pack dich!«
    Während der übrigen Unterrichtsstunden schrieb ich ein Briefchen meinem Widersacher, worin ich ihn versicherte, daß ich ihm nach und nach meine Schuld abtragen und ihm jeden Kreuzer zustellen wolle, den ich von nun an ersparen könnte. Ich rollte das Papier zusammen, ließ es unter den Tischen zu ihm hin befördern und erhielt die Antwort zurück: Sogleich alles oder nichts!
    Nach Beendigung der Schule, als der Lehrer fort war, stellte sich der Dämon an der Tür auf, umgeben von einer schaulustigen Menge, und wie ich hinausgehen wollte, vertrat er mir den Weg und rief: »Seht den Schelm! Er hat den ganzen Sommer hindurch Geld gestohlen und mich um fünf Gulden dreißig Kreuzer betrogen! Wißt es alle und seht ihn an!« – »Ein artiger Schelm, der grüne Heinrich!« ertönte es nun von mehreren Seiten, ich rief ganz glühend: »Du bist selbst ein Schelm und Lügner!« Allein ich wurde überschrieen, fünf oder sechs boshafte Bursche, welche stets einen Gegenstand der Mißhandlung suchten, scharten sich um Meierlein, folgten mir nach und ließen Schimpfworte ertönen, bis ich in meinem Hause war. Von jetzt an wiederholten sich solche Vorgänge beinahe täglich; Meierlein warb sich eine förmliche Verbindung zusammen, und wo ich ging, hörte ich irgendeinen Ruf hinter mir. Ich hatte mein renommistisches Benehmen schon verloren und war wieder ungeschickt und blöde geworden; das reizte den Mutwillen und die Spottsucht meiner Verfolger, bis sie endlich müde wurden. Es waren alles solche Kumpane, welche selbst schon irgendeinen Streich verübt oder nur auf Gelegenheit warteten, Werg an die Kunkel zu bekommen. Es war auffallend, daß Meierlein trotz seines altklugen und fleißigen Wesens sich nicht zu ähnlich beschaffenen Naturen hielt, sondern immer in Gesellschaft der Leichtsinnigen, der Mutwilligen und Törichten zu sehen war, wie mit mir und den übrigen.
    Indessen nahmen nun die Ruhigen und Unbescholtenen unseres Alters teil gegen das verfolgungssüchtige Wesen jener, beschützten mich zu wiederholten Malen vor ihren Anfällen und ließen mich überhaupt weder Verachtung noch Unfreundlichkeit fahlen, so daß ich mehr als einem herzlich zugetan wurde, den ich vorher kaum beachtet

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