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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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Sie waren gebräunt und wirkten zäh, mit kühnen, wachen Augen und kräftigen Armen und Beinen. Einige von ihnen waren mit Langbogen bewaffnet und trugen Köcher gefüllt mit rotgefiederten Pfeilen auf dem Rücken, andere hatten schwere Macheten an den Gürteln und leichte Wurfspeere in den Händen.
    Wie magische Erscheinungen glitten sie aus dem dunstigen Dämmer. Schweigend befreiten sie Niamh aus den erschlafften Fangarmen und trugen sie zu mir, wo sie die Bewußtlose niederlegten, während ihre Gefährten mit ihren Macheten die Vampirpflanze in Stücke hackten. Die Blume schrie, aus hundert Wunden blutend, mit zerfetzten Blütenblättern; dann war sie nur noch eine klumpige, klebrig-blutige Masse.
    Einer der großen Männer entkorkte eine Feldflasche, die aus einer ausgehöhlten Nuß gefertigt war, und hielt sie an meine Lippen. Ich trank starken Rotwein, bitter und harzig, aber belebend.
    Noch zu benommen, um etwas sagen zu können, dankte ich ihm mit einem Lächeln und setzte mich auf. Mein Kopf begann langsam wieder klarer zu werden, und als ich umherblickte, sah ich eine weitere Gestalt aus der Dämmerung auftauchen – eine große, langbeinige Frau, jung und schlank, mit braungoldenen Augen und silberner Mähne, genauso gekleidet und bewaffnet wie die Männer. Ein Mädchen unter diesen Waldläufern – und noch dazu ein Mädchen von verwirrender Schönheit?
    Ich mußte sie angestiert haben als sei sie ein Gespenst, denn sie lachte hell auf, als sie mein Gesicht sah. Sie hatte einen breiten, angenehmen Mund und gebräunte, jungenhafte Züge, ihre blitzenden Augen unter ironisch gebogenen Brauen musterten mich neugierig. Ihre Gestalt, vollbusig und mit schmaler Taille, bewegte sich mit verführerischer Anmut und amazonenhafter Elastizität.
    Ich stand vor ihr auf, aber die Anstrengung war meinem Körper schon zuviel. Plötzlich wurde mir schwarz vor Augen, und eine rauhe, borkige Wand schlug in mein Gesicht. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern.
    Als ich wieder erwachte, drang der verlockende Duft gerösteten Fleisches in meine Nase, und ich hörte die Musik eines Saiteninstruments, in die sich Stimmen und das gelegentliche Lachen von Männern mischten. Ich lag warm und irgendwie behaglich und sog gierig den Bratengeruch ein, der mir den Mund wässrig machte, und als ich mich so in verträumter Gedankenlosigkeit den angenehmen Sinneseindrücken überließ, hörte ich auf einmal ganz in meiner Nähe eine Stimme sagen: »Er ist aufgewacht. Sag Siona, daß sie kommen soll.«
    Ich öffnete die Augen und blickte umher. Alles war Halbdunkel und Schatten, durchschossen von flackerndem, orangefarbenem Feuerschein, und einen Augenblick lang dachte ich, es sei Nacht. Aber das konnte kaum sein, denn unser Kampf mit der Vampirpflanze war am frühen Morgen gewesen, und ich konnte unmöglich den ganzen Tag ohnmächtig gewesen sein.
    Dann entdeckte ich, daß wir auf allen Seiten von rauhem, dunklem Holz umgeben waren; ich folgerte daraus, daß wir in einer Baumhöhle waren, die vielleicht die Funktion einer Jagdhütte oder eines Stützpunkts hatte. Ein großes Feuer brannte in der Mitte der Höhle und malte monströse Schattenspiele auf die Wände. Ungefähr zwanzig Männer und halbwüchsige Jungen saßen oder lagen um das Feuer. Einige von ihnen tranken aus Tassen, die wie die Kappen von enormen Eicheln aussahen; zwei oder drei unterhielten die anderen mit Zupfinstrumenten, die Lauten und barocken Violen ähnelten. An einem hölzernen Bratspieß wurden über dem knackenden Feuer große Fleischstücke geröstet.
    An meiner Seite saß Niamh mit dem Rücken an der Wand und starrte ins Feuer, die Augen riesengroß in ihrem blassen, erschöpften Gesicht. Es war offensichtlich, daß sie durch den Blutverlust geschwächt war, aber sie lebte und schien von der furchtbaren Umarmung keinen ernsthaften Schaden davongetragen zu haben.
    »Wer sind diese Leute, die uns gerettet haben, Niamh?« fragte ich mit halblauter Stimme.
    »Geächtete und Banditen des Waldes«, sagte sie genauso leise. »Flüchtlinge vor der Justiz … Ich fürchte, wir sind in ihren Händen in noch größerer Gefahr als vorher.«
    »Warum sagst du das? Sie haben uns vor dem sicheren Tod gerettet. Welche Gefahr könnte größer sein als die, aus der sie uns befreit haben?«
    »Sie kennen nur ihr eigenes Gesetz und werden von allen verfolgt. Sie sind jedermanns Feinde. Ich fürchte, sie haben unsere Leben nicht aus Freundlichkeit gerettet, sondern aus

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