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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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unbewaffnet durch die Baumwildnis zogen, und Siona mußte es logisch erscheinen, daß eine Aristokratentochter niemals die Erlaubnis erhalten würde, einen Soldaten zu heiraten.
    Sie zweifelte auch nicht daran. Sie maß mich mit einem herausfordernden Blick, der mir fast wie eine Einladung vorkam, und sagte: »Ich kann verstehen, Mädchen, daß du dich in so einer Sache nicht den Wünschen deiner Familie beugen wolltest. Wenn ich einen Liebhaber mit solchen Schultern hätte, dann würde ich mich auch an ihnen festhalten.«
    Nach kurzer Überlegung fuhr sie fort: »Also, ihr seid hier willkommen, denn wir bieten den Heimatlosen und Ausgestoßenen wirklich eine Zuflucht! Setzt euch ans Feuer und eßt und trinkt, soviel ihr wollt. Bei Sonnenuntergang geht es weiter, und ihr könnt mit uns kommen, wenn ihr wollt, denn unser Weg führt zufällig in die Richtung der Stadt, die euer Ziel ist. Außerdem haben wir ein paar Reittiere übrig, weil wir während dieser Jagdexpedition drei von unseren Leuten verloren haben. Ruht euch gut aus – wir rasten nicht mehr lange!«
    Mit diesen Worten und einer beiläufigen Handbewegung machte Siona auf dem Absatz kehrt und schritt davon. Niamh sank erleichtert zusammen und lächelte mir schüchtern zu. Ich hielt es für gefährlich, offen mit ihr zu sprechen, weil ich nicht wußte, ob jemand mithören kennte, und so vertagte ich meine Fragen auf ein anderes Mal. Daß Niamh ihre Identität verschwiegen und statt der wahren Geschichte eine erfundene erzählt hatte, hielt ich für eine bloße Vorsichtsmaßnahme.
    Wir setzten uns zu den anderen, die um das Feuer waren, und ließen uns stattliche Brocken vom Braten schneiden. Dazu gab es grobes Schwarzbrot und den feurigen, geharzten Rotwein, und als Nachspeise Schnitten frischer, melonenähnlicher Früchte. Die Banditen, oder was immer sie waren, nahmen uns ohne viel Aufhebens in ihren Kreis auf und vermieden es mit natürlichem Takt, persönliche Fragen zu stellen. Ihre rauhe und lässige Gastfreundschaft war ohne Mißtrauen und ohne falsche Herzlichkeit, und ich empfand sie als sehr angenehm. Im beiläufigen Gespräch erfuhr ich, daß sie von der Zivilisation nicht völlig isoliert waren. Sie hatten ihre Verbindungen in verschiedenen Städten, und es schien des öfteren vorzukommen, daß Händler und Fremde bei ihnen zu Gast waren. Viele von ihnen waren Geächtete oder flüchtige Verbrecher, doch wirkten sie weder bösartig noch verdorben, und ich gewann den Eindruck, daß ihnen dieses Leben gefiel. Andererseits waren sie im Umgang miteinander und mit anderen nicht eben zimperlich, redeten eine Sprache, die voll von seltsamen Flüchen und Derbheiten war, und schienen stets bereit, Meinungsverschiedenheiten mit den Fäusten auszutragen.
    Angesichts dieser beiläufigen Selbstverständlichkeit, mit der sie uns aufnahmen und an ihrer Mahlzeit teilnehmen ließen, wunderte ich mich, daß Niamh ihren Kopf gesenkt hielt und kaum sprach. Aber ich konnte sie nicht gut nach den Gründen fragen.

14. Im Schlupfwinkel der Bande
    Als wir unsere Zuflucht in der Baumhöhle verließen, brannte der Himmel in einem orange-grünen Sonnenuntergang, der die Zwielichtwelt zwischen den Riesenbäumen mit seinem magischen Widerschein übergoß. Das diffuse, unwirkliche Licht der oberen Regionen vermischte sich mit samtigen Schatten und grauen Dunstschleiern und verwandelte dieses Zwischenreich über der nachtschwarzen Tiefe für kurze Zeit in einen Zaubergarten mit matten Farben und verschwimmenden Konturen, der alle Realität aufzulösen schien.
    Wir waren in der Obhut eines sehnigen, energisch und intelligent aussehenden Mannes namens Yurgon, der offenbar Sionas Stellvertreter war. Die Schnelligkeit und Disziplin des Aufbruchs erweckte meine Bewunderung. Jeder wußte, was er zu tun hatte, und tat das Notwendige ohne unnötiges Hin und Her, jeder packte mit an, wenn Hilfe gebraucht wurde, und niemand verlor Zeit mit überflüssigem Geschwätz und Geschrei. Unter den Laonesen, die ich in Niamhs Palast kennengelernt hatte, gab es wenige Männer wie diese unabhängigen, zähen und auf ihre Gemeinschaft eingeschworenen Waldläufer. Nur der treue Panthon und einige von seiner Leibwache konnten es als Mann mit Siona und ihren schweigsamen Jägern aufnehmen; die meisten Laonesen, die ich kennengelernt hatte, waren zierliche, schwächliche und eitle Weichlinge gewesen. Freilich hatte sich mein Umgang beinahe ausschließlich auf die Mitglieder der Hofgesellschaft

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