Der grüne Stern
seien. Sie strich über die seidenglatten Blütenblätter, bog sie auseinander und sog die Duftfülle ein, hingerissen von soviel Schönheit.
Die Blüte gehörte zu einer parasitären breitblättrigen Pflanze, deren vielfach verästelte Wurzeln die grobe Rinde des Riesenasts überzogen. Tausende haariger grüner Wurzelfäden hatten sich in Borkenrisse und unter gelockerte Rindenstücke geschoben, um die immense Pflanze zu verankern und nährende Säfte aus dem tragenden Ast zu ziehen. Die Blütenblätter waren halb geöffnet und verliehen der Blume eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Trompetenlilie, und in der Tiefe des Blütenkelchs, wo das Weiß allmählich in ein helles Lila überging, waren scharlachrote, gefiederte Staubfäden zu sehen, in kreisförmiger Anordnung und halb eingerollt. Ich lehnte an einem abzweigenden Ast in der Nähe, bezaubert von der geheimnisvollen Schönheit der Szene, als das Mädchen sich über die enorme Blume beugte, deren unwirkliche Schönheit von der Umgebung und dem grüngoldenen Dämmer noch erhöht wurde.
Plötzlich kreischte Niarnh auf, und mit einem Schlag hatte die traumhafte Lieblichkeit des Bilds sich in ein Schreckensgemälde verwandelt. Denn die gefiederten, scharlachroten Staubfäden waren jäh aus dem Blütenkelch geschossen und hatten sich wie Schlangen um Kopf, Arme und Oberkörper des nichtsahnenden Mädchens geschlungen. Ihre Kraft mußte beträchtlich sein, denn Niamh zappelte hilflos in der Umklammerung. Ich eilte zu ihr, legte meine Arme um ihre Taille und versuchte, sie aus der Umarmung der fleischfressenden Blüte zu befreien, aber ohne Erfolg. Die Fangarme, die wie Peitschenschnüre aus dem Blütenkelch geschossen waren, hatten eine Widerstandskraft, die erstaunlich war.
Während ich an ihnen riß und zerrte, schleuderte die Blüte weitere Fangarme heraus, die sich um das hilflose Mädchen schlangen. Am Ende eines jeden Fangarms war eine mit haarfeinen Stacheln besetzte knotenförmige Verdickung. Diese an Staubbeutel erinnernden aber bei weitem nicht so harmlosen Organe preßten sich nun, da Niamh fest im Griff der Fangarme war, auf ihre bloße Haut. Eins klebte an ihrem Hals, ein anderes an der Rundung ihrer Schulter, weitere hafteten an ihren Armen, Schenkeln und an ihrem Rücken.
Ihr verzweifeltes Zerren erlahmte rasch, und zwei Minuten nach dem Überfall hing sie betäubt in der beharrlichen Umarmung der riesigen Blume. Während ich wütend gegen die schlüpfrigen Fangarme kämpfte, fühlte ich auf einmal Schwindel in meinem Kopf.
Es war der süße, berauschende Duft, der uns wie eine Wolke einhüllte. Ja, das mußte es sein! Meine Sicht trübte sich, mein Herz hämmerte in unregelmäßigem Rhythmus. Ich kämpfte weiter, aber meine Wahrnehmungsfähigkeit schien rasch nachzulassen.
Ich hatte die Mutterpflanze dieser großen Blume zwar für parasitär gehalten, aber ich hatte nicht geahnt, von welcher Art ihr Parasitentum war, mit der sie sich ernährte. Ich hatte gedacht, der Baum sei es, dessen Säfte sie anzapfte. In Wahrheit zapfte das kolossale Ding ganz andere Säfte an, denn nun sah ich mit ungläubigem Schrecken und Abscheu, daß die haarigen Samenbeutel sich auf der nackten Haut des betäubten Mädchens wie große schwammige Saugfüße verbreitert hatten, die rot und naß glänzten. Und im nächsten Augenblick sah ich, daß die wächserne Blässe der großen Blütenblätter von innen nach außen fortschreitend einer tiefrosa Verfärbung Platz machte. Und mein benebelter Verstand begriff endlich, daß die Vampirblume ihr Blut trank!
Eine berserkerhafte Wut überkam mich. Nun hatte ich Grund, mich zu beglückwünschen, daß ich den bronzenen Dorn meiner Gürtelschnalle am Vorabend in mühseliger Arbeit zu einem Dolch geschärft hatte. Denn die Kraft meiner Hände vermochte nichts gegen die Elastizität der roten Fangarme auszurichten. Aber die Bronzeschneide schnitt wie ein Sägeblatt durch die zähen Stränge. Innerhalb von Sekunden hatte ich einen Saugfuß von seinem Arm getrennt und pflückte das obszöne Ding von Niamhs Rücken, wo es einen nassen, blutunterlaufenen Flecken zurückließ, schleuderte es von mir und machte mich an den zweiten Saugfuß, der mit Hunderten von haarfeinen hohlen Stacheln das Blut aus ihrer Schulter sog. Die ganze Zeit hing sie schlaff, betäubt und widerstandslos in der Umklammerung der scharlachroten Arme. Dabei waren ihre Augen offen. Der narkotische Duft der Vampirblume mußte sie berauscht und in Trance versetzt
Weitere Kostenlose Bücher