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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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ihrer bernsteinfarbenen Augen, und sie schlief. Ich starrte lange das schöne junge Mädchen an, in das ich mich so hoffnungslos verliebt hatte, und als ich endlich selbst einschlief, träumte ich von einem schlanken Mädchen mit einem Elfengesicht und silbernen Haaren.
    Mein Leben auf der Erde war abgeschieden, beschützt, luxuriös und angenehm gewesen, aber ich vermißte die Sicherheit und den Komfort meiner irdischen Existenz nicht. Trotz aller Unbequemlichkeiten und Gefahren war ich lieber hier als zu Hause. Lieber hauste ich in einem himmelhohen Baum unter dem Licht des grünen Sterns und kämpfte mit bloßen Händen gegen alle möglichen Ungeheuer, als in ein eintöniges Leben hinter Büchern zurückzukehren, eingeengt auf Bett und Rollstuhl.
    Denn hier war ich ein Mann, ein kraftvoller Wilder, nicht ein hoffnungsloser Krüppel. Nie zuvor hatte ich wirklich gelebt, von einem Leben gekostet, das mit Gefahren gewürzt war und in dem ich auf meine eigene Geschicklichkeit stolz sein konnte. Mochte jeder Tag neue Schwierigkeiten und Bedrängnisse bringen, ich wußte wenigstens, daß ich jeden Moment dieses Lebens als Handelnder ausfüllen konnte, zwischen Erregung und Spannung, zwischen Geheimnissen und Abenteuern – und an der Seite der schönsten Frau zweier Welten!

12. Der rotgefiederte Pfeil
    Als ich erwachte, bot sich meinen Augen ein überwältigender Anblick. Um mich her ragten die kolossalen Bäume in unvorstellbare Höhen und verdeckten den Himmel mit tief gestaffelten Laubdächern, die mit zunehmender Höhe mehr und mehr vom jadefarbenen Licht der grünen Sonne durchdrungen wurden. Vereinzelte Strahlen erreichten die Ebene, auf der wir uns befanden, und wo sie das gelbgrüne Laub trafen, verwandelten sie es in leuchtendes Gold.
    Die Luft war frisch und feucht, voll von den Gerüchen des Waldes. Die Anstrengungen und Ängste des Vortags, Zerschlagenheit und Erschöpfung waren vergessen. Ein voller Bauch und ein ruhiger Nachtschlaf in frischer Luft hatten mich wiederhergestellt, und ich stand mit dem Gefühl auf, daß mir lange nicht so wohl gewesen war.
    Auch Niamh schien erfrischt und gekräftigt. Verschwunden war die höfisch-steife Puppenprinzessin mit ihren zeremonienhaften Gewändern; an ihrer Stelle stand ein geschmeidiges, langbeiniges Mädchen in zerrissenen Kleidern und mit wirrem Haar, blitzenden Augen und fröhlichem Lachen. Ein wildes Elfenmädchen aus dem Wald himmelhoher Bäume und eine passende Gefährtin für den abgerissenen Landsknecht, der ich geworden war.
    Wir wuschen, uns in Pfützen kalten Regenwassers, frühstückten vom übriggebliebenen Schneckenfleisch und fühlten uns bereit, den neuen Tag zu beginnen.
    Die äußeren Verzweigungen unseres Astes, belaubt und dick wie Schiffsmasten, breiteten sich in verschiedene Richtungen aus. Einige von ihnen berührten einen viel größeren Ast über uns, und wir beschlossen den Obergang zu wagen. Das Nahrungsmittelpotential unserer gegenwärtigen Umgebung war erschöpft, und wenn wir auch nicht wußten, was uns auf dem höherliegenden Ast erwartete, so bestand doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß wir dort eher etwas Eßbares finden würden. Überdies konnten wir jederzeit zu unserem Lagerplatz zurückkehren.
    Der obere Ast, den wir mit einiger Mühe erreichten, hatte eine breite Oberfläche und verlief fast eben, wenn man von einigen Krümmungen und knorrigen Verdickungen absah. Weit draußen über dem immerwährenden Zwielicht des Abgrunds verlor er sich in Verzweigungen und gelben Laubmassen.
    Als wir den Ast nach etwas Eßbarem absuchten, stießen wir auf ein überraschend schönes Naturwunder. Es war eine enorme Blume, deren segelförmige Blütenblätter die wachsweiße Farbe von Kamelien hatten und einen zarten, berauschenden Duft verströmten. Aber sie war sicherlich tausendmal größer als jede Blume, die je auf der Erde geblüht hatte. Oder, sagte ich mir, ich bin tausendmal kleiner als jeder Mensch, der je auf der Erde gelebt hat, und dies ist eine ganz gewöhnliche Orchidee auf dem Ast eines ganz gewöhnlichen Baums.
    Welche Perspektive zutraf, wußte ich damals nicht und weiß es heute noch nicht. Dieses unlösbare Rätsel gehört zu den vielen Geheimnissen, die ich auf der Welt des grünen Sterns antraf und von denen ich nicht ein einziges erklären kann.
    Niamh war begeistert von der fantastischen Blüte. Sie bekannte, daß ihr Volk selten sehr weit über die Umgebung Phaolons hinauskäme, und daß solche Blumen unbekannt

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