Der grüne Strahl
Nebel, welche den Westhimmel mit purpurnen Farbentönen übergossen.
Der Grüne Strahl konnte dabei freilich unmöglich zu den Augen eines Beobachters gelangen.
Von etwas phantastischer Einbildung erfüllt, vermengte Miß Campbell in ihren Träumereien den Schiffbrüchigen aus dem Strudel von Corryvrekan und den Grünen Strahl in ein und derselben Vorstellung. Sicherlich kam der Eine so wenig wie der Andere zur Erscheinung. Wenn die Dünste diesen verdeckten, so verbarg das Incognito ihr jenen.
Machten die Brüder Melvill den Versuch, ihre Nichte zur Geduld zu ermahnen, so kamen sie freilich schlecht an. Miß Campbell genirte sich gar nicht, sie für die hartnäckigen atmosphärischen Störungen verantwortlich zu machen; sie selbst wieder hielten sich an das vortreffliche Aneroïd-Barometer, das sie in vorsorglicher Weise von Helensbourgh mitgenommen hatten und dessen Zeiger dabei verharrte, sich nicht vorwärts zu bewegen. Sie hätten wirklich ihre geliebte Tabaksdose d’rum gegeben, einmal einen Sonnenuntergang bei wolken-und nebelfreiem Himmel zu erlangen!
Der gelehrte Ursiclos beging eines Tages, bezugnehmend auf die Dunstmassen, welche den Himmel bedeckten, gar die Ungeschicklichkeit, deren Entstehung ganz natürlich zu finden. Von dieser Erkenntniß bis zur Eröffnung eines ambulatorischen Cursus über Physik war bei ihm selbstverständlich nur ein Schritt, den er in Gegenwart der Miß Campbell denn auch that. Er sprach dabei von den Wolken im Allgemeinen, von ihrer abwärts steigenden Bewegung, welche sie mit Erniedrigung der Lufttemperatur dem Horizonte zuführt, von der Umbildung der Dünste in Bläschenform, von ihrer wissenschaftlichen Eintheilung in Nimbus, Stratus, Cumulus, Cyrrhus – wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß er in dem Genusse, seine Weisheit an den Mann zu bringen, schwelgte.
Das lag so klar auf der Hand, daß die Brüder Melvill gar nicht wußten, welche Haltung sie dieser improvisirten Belehrung gegenüber einnehmen sollten Miß Campbell selbst »coupirte« – um in modernem Dandyjargon zu sprechen – den jungen Gelehrten glatt weg; erst gab sie sich den Anschein, als sähe sie in einer ganz anderen Richtung hin, um ihn nicht zu hören; dann heftete sie die Augen unverwandt auf das Schloß von Dunolly, um ihn scheinbar gar nicht zu bemerken; endlich blickte sie auf die Spitzen ihrer zierlichen Badeschuhe nieder – was als nicht mißzudeutendes Zeichen von Indifferenz gilt, als der Beweis vollkommensten Mangels an Beachtung, den eine junge Schottin, ebenso bezüglich der Worte eines Sprechenden wie seiner eigenen Persönlichkeit, nur immer beizubringen vermag.
Aristobulos Ursiclos, der gewöhnlich nichts sah und hörte als sich selbst, der stets nur für sich selbst sprach und docirte, bemerkte davon freilich nichts oder hatte wenigstens den Anschein, nichts zu bemerken.
So vergingen der 3., 4., 5. und 6. August; am letzteren Tage aber stieg zur großen Freude der Brüder Melvill das Barometer um einige Linien über »Veränderlich«. Der folgende Tag brach unter den günstigsten Aussichten an. Um zehn Uhr Morgens leuchtete die Sonne in blendendem Glanze und der Himmel breitete über dem Meere einen Azur von herrlicher Klarheit aus.
Miß Campbell konnte sich diese günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. In dem Schuppen des Caledonian-Hôtels wurde ein Wagen stets zu ihrer Verfügung gehalten. Jetzt oder niemals war der Augenblick gekommen, von demselben Gebrauch zu machen.
Um fünf Uhr Abends nahmen also Miß Campbell und die Brüder Melvill in der Kalesche Platz, die ein, mit der Leitung eines Viergespanns wohlvertrauter Kutscher führte. Patridge nahm den Dienersitz am Rücktheil ein, und die durch eine Peitsche mit sehr langer Schnur angetriebenen Pferde jagten auf der Landstraße von Oban nach Glachan dahin.
Aristobulos Ursiclos hatte, zu seinem größten Leidwesen – wohl kaum auch zu dem der Miß Campbell – wegen dringlicher Beschäftigung mit einer wissenschaftlichen Abhandlung, nicht von der Partie sein können.
Der Ausflug war in jeder Hinsicht ein höchst lohnender. Der Wagen folgte der Straße längs der Küste und der Meerenge, welche die Insel Kerrera vom schottischen Lande trennt. Die Insel, vulcanischen Ursprungs, bot einen herrlichen Anblick, litt aber an dem einen unverzeihlichen Fehler, Miß Campbell die freie Aussicht über das Meer zu rauben. Da unter diesen Verhältnissen jedoch nur vierundeinhalb Meilen zurückzulegen waren, so verhehlte
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