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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dunstfreien Horizonte darbieten sollte.
    Auf jeden Fall war ihnen heute ein wunderbar schöner Abend verloren gegangen, wie ihn das Barometer – wenigstens für die nächste Zeit – kaum wieder zu versprechen schien, denn im Laufe der Nacht kehrte die launenhafte Nadel des höchst empfindlichen Instruments langsam auf »Veränderlich« zurück. Was für alle Welt noch als schöne Witterung gelten konnte, das war doch keineswegs eine solche in den Augen der Miß Campbell.
    Am folgenden Tage, dem 8. August, durchbrachen die Sonnenstrahlen nur zeitweise die warmen Dunstmassen am Himmelsgewölbe. Die gewöhnliche Mittagshitze erlangte nicht die Stärke, sie zu zerstreuen. Gegen Abend glänzte der Himmel im lebhaftesten Farbenspiel. Ineinander fließende Farbentöne aller Art, vom Chromgelb bis zum dunklen Ultramarin, verliehen dem Horizont das blendende Aussehen der Palette. eines Malers. Unter dem Flockenschleier seiner Wölkchen färbte die untergehende Sonne Himmel und Land mit allen Strahlen des Spectrums, außer demjenigen, den die phantastische und etwas abergläubische Miß Campbell zu sehen verlangte.
    Ganz ähnlich verhielt es sich am nächsten und am übernächsten Tage. Der Wagen blieb also unbenützt in der Remise des Hôtels. Wozu hätte es gedient, zum Zwecke einer Beobachtung auszufahren, welche der Zustand des Himmels von vornherein vereiteln mußte? Die Anhöhen der Insel Seil konnten ja keine günstigeren Bedingungen darbieten, als der Strand von Oban, und es war immer besser, sich einer Enttäuschung nicht erst auszusetzen.
    Ohne gerade mürrischer zu sein, als die Umstände es rechtfertigten, begnügte sich Miß Campbell, bei einbrechender Dunkelheit ihr Zimmer aufzusuchen, und überließ sich wachend ihren Träumereien. Was betrafen diese? Etwa die mit dem Grünen Strahl verknüpfte Legende? Bedurfte sie dessen wirklich noch, um in ihrem Herzen klar zu sehen? Vielleicht auch nicht in dem ihrigen, aber etwa in dem Anderer?
    An diesem Tage hatte Miß Campbell, der sich Frau Beß anschloß, ihr Mißgeschick nach den Ruinen von Dunolly-Castle spazieren geführt. Hier am Fuße einer alten, mit dichtem Epheugeschling bedeckten Mauer, breitete sich ein wundervolles Panorama aus, welches der tiefe Landeinschnitt der Bai von Oban, die wild zerklüfteten Gesteine der Insel Kerrera, die im Hebridenmeere verstreuten Eilande und Holme, und endlich die Insel Mull bildeten, deren westwärts schauendes Felsenufer den ersten Anprall der Stürme aus dem Atlantischen Ocean zu erleiden und zu brechen hat.
    Wohl ruhte Miß Campbell’s Auge auf dem herrlichen Bilde, das sich hier vor ihr entrollte; aber sah sie dasselbe auch? Zog sie nicht vielmehr irgend welche Erinnerung hartnäckig von demselben ab?
    Jedenfalls konnte man sicher sein, daß das Bild Aristobulos Ursiclos’ die Ursache dazu nicht war. Es wäre für ihn kein Engelsgesang gewesen, wenn der junge Gelehrte die Worte vernommen hätte, welche Frau Beß heute mehr als freimüthig über ihn äußerte.
    »Er gefällt mir nicht, wiederholte sie öfters, nein, er gefällt mir nicht! Er hat nur den einen Gedanken, sich selbst zu gefallen. Welche Figur sollte er in der Cottage zu Helensbourgh spielen? Er gehört zu dem Clan der »Mac-Egoisten«, auf die ich mich nicht verstehe. Wie konnten die Herrn Melvill nur je den Gedanken fassen, daß Der ihr Neffe werden könnte? Patridge mag ihn ebensowenig leiden wie ich, und der versteht sich auf so etwas. Sagen Sie aufrichtig, Miß Campbell, gefällt er Ihnen denn selbst?
    – Von wem sprichst Du? fragte das junge Mädchen, welche die Aeußerungen der Frau Beß ganz überhört hatte.
    – Von Dem, an den Sie nicht denken können – und wenn’s nur um der Ehre des Clans willen wäre.
    – An wen glaubst Du, daß ich nicht denken könne?
    – Nun, an jenen Herrn Aristobulos Ursiclos, der überhaupt besser thäte, nach jenseits des Tweed zu verschwinden und sich zu erkundigen, ob jemals die Familie Campbell mit einem Ursiclos etwas zu schaffen hatte!«
    Frau Beß legte ihre Worte schon gewöhnlich nicht auf die Goldwage, aber sie mußte sich für die eigene Ansicht ganz besonders erwärmt haben, um sich in Gegensatz zu ihren Herren zu setzen – freilich zu Gunsten ihrer jungen Herrin. Sie fühlte es übrigens recht gut heraus, daß Helena für diesen Prätendenten nichts weiter als Gleichgiltigkeit empfand, hätte dagegen schwerlich ahnen können, daß diese Gleichgiltigkeit durch den Gedanken an einen Andern gar noch

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