Der grüne Strahl
Ueberzieher und Händlerinnen im blumengeschmückten Hute, ihre kleine Karren vor sich herschiebend, in denen sie die schönsten Früchte aus der Welt feilbieten; »Minstrels« endlich, die, ganz erstaunliche Gesichter schneiden, volksthümliche Scenen unter schonungsloser Travestirung abspielen und dazu herzbrechende Gassenhauer in unzähligen Couplets singen, inmitten eines Zuhörerkreises von Kindern, welche die Refrains mit heiligem Ernste nachsingen.
Für Miß Campbell hatte dieses alltägliche Treiben eines Badeortes nicht den Reiz der Neuheit mehr. Sie zog es vor, diesem Gewimmel von Menschen zu entfliehen, welche einander eben so fremd zu sein schienen, als wären sie aus allen vier Winkeln Europas zusammengeströmt.
Wenn ihre, über das Ausbleiben des jungen Mädchens besorgten Onkels sie suchen wollten, so mußten sie sich immer nach dem einsamen Strande an irgend einer vorspringenden Spitze der Bai begeben.
Da saß Miß Campbell, gleich der nachsinnenden Minna aus dem »Piraten«, den Ellenbogen auf ein Felsstück gestützt, den Kopf in der einen Hand ruhend, während sie mit der anderen wilden Fenchel enthülste, der hier zwischen den Steinen wuchs. Ihr zerstreuter Blick wandte sich von einem »Stack«, dessen Felsengipfel lothrecht emporragte, nach irgend einer dunklen Höhle, einer jener »Helyers«, wie man sie in Schottland nennt, welche von dem Brausen des einfluthenden Meeres widerhallen.
In der Ferne saßen in geraden Linien Seeraben unbeweglich, gleich hieratischen Vögeln, und sie folgte ihnen weithin mit den Blicken, wenn diese, aus ihrer Ruhe gestört, mit schwerem Flügelschlage dicht über die Brandungswellen hinstreiften. Woran dachte wohl das junge Mädchen?
Aristobulos Ursiclos hätte unzweifelhaft Anmaßung und ihr Onkelpaar Naivetät genug besessen, zu glauben, daß sie an ihn denken müsse; sie hätten sich damit freilich gründlich getäuscht.
In der Erinnerung durchlebte Miß Campbell noch einmal die Scenen beim Corryvrekan. Sie sah die mit dem Untergange bedrohte Schaluppe, die Manöver des »Glengarry«, wie dieser mitten in die enge Fahrstraße hineindampfte. Tief im innersten Herzen empfand sie noch einmal jene Erregung, welche sie so athemlos bedrückt hatte, als jene Unbesonnenen in der Aushöhlung des wirbelnden Wassers verschwanden…. Dann trat ihr die gelungene Rettung vor Augen, die im rechten Moment geschleuderte Leine, der elegante junge Mann, wie er das Deck des Schiffes betrat – so ruhig, so lächelnd, weit weniger erregt als sie, und wie er mit zwangloser Handbewegung die Passagiere des Dampfers begrüßte.
Für einen etwas schwärmerischen Kopf war das der Anfang eines Romans, doch hatte es den Anschein, als ob dieser nicht über das erste Capitel hinauskommen solle. Das angefangene Buch hatte sich unter Miß Campbell’s eigenen Händen plötzlich geschlossen. Welche Seite desselben würde sie jemals wieder aufschlagen können, da »ihr Held«, ähnlich einem Wodan der gaëlischen Urzeit, nicht wieder erschienen war?
Aber hatte sie denn überhaupt inmitten dieser theilnahmslos an einander vorüberstreifenden Menge, von der es auf dem Strande von Oban wimmelte, nach ihm gesucht? – Vielleicht. – War er ihr da vor Augen gekommen? – Nein. Er hätte sie natürlich nicht wiedererkennen können. Wie hätte er sie auch an Bord des »Glengarry« besonders bemerken sollen? – Weshalb hätte er ihr näher treten sollen? Wie konnte er errathen, daß er seine Rettung zum Theil nur ihr verdankte? Und doch war vor allen Uebrigen sie es gewesen, welche das in Seenoth befindliche Fahrzeug bemerkt, sie die Erste, die den Capitän gebeten hatte, ihm zu Hilfe zu eilen. Und zuletzt hatte ihr das an jenem Abend wahrscheinlich noch ihren Grünen Strahl gekostet! Das konnte man wirklich vermuthen.
Während der drei Tage, welche der Ankunft der Familie Melvill in Oban folgten, hätte der Himmel einen Astronomen der Sternwarten von Edinburgh oder Greenwich rein zum Verzweifeln gebracht. Er zeigte sich gleichsam wattirt mit einer Art seinem Dunst, der jeder Beobachtung noch hinderlicher war als vereinzelte, scharf begrenzte Wolken. Selbst die mächtigsten Fernrohre oder Teleskope, das Spiegelteleskop von Cambridge ganz wie das Riesen-Instrument von Parsonstown, wären außer Stande gewesen, denselben zu durchdringen. Höchstens die Sonne hätte Kraft genug besessen, ihn mit ihren Strahlen zu durchbrechen, bei ihrem Niedergange aber hüllte die Meeresgrenze sich in seine
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