Der grüne Strahl
trägt – daselbst zum Unterrichte in der neuen Religion Christi das erste Kloster Schottlands gründete, welches Mönche aus Cluny bis zur Zeit der Reformation bewohnten? Wo hatte man jetzt die ausgedehnten Baulichkeiten zu suchen, welche gleichsam das Seminar der Bischöfe und Aebte des Vereinigten Königreichs darstellten? Wo könnte man inmitten dieser Trümmer, die an Ueberlieferungen aus der Vergangenheit, an Manuscripten, betreffend die romanische Geschichte, so reiche Bibliothek wiederfinden, aus deren Quelle die Gelehrten jener Zeit mit so großem Gewinn schöpften? – Gegenwärtig ist von Allem nichts übrig als Ruinen, hier, von wo die Civilisation, welche den Norden Europas so tiefgreifend umgestalten sollte, ihren Ausgang nahm. Aus dem ehemaligen Sainte-Columba ist das heutige Jona geworden, mit wenigen Hunderten ungebildeter Bauern, welche dem sandigen Boden der Insel nur mühsam die armselige Gerstenernte abnöthigen und etwas an Kartoffeln und Korn gewinnen, nebst noch wenigeren Fischern, die ihr Leben durch den Fischfang in den reichen Gewässern der Hebriden fristen.
»Miß Campbell, sagte Aristobulos Ursiclos wegwerfend beim ersten Rundblick, glauben Sie, daß sich das mit Oban messen kann?
– O, es übertrifft dasselbe, antwortete Miß Campbell, obgleich sie ohne Zweifel dabei dachte, daß die Insel jetzt wenigstens einen Bewohner zu viel beherberge.
In Ermangelung eines Casino oder Hôtels entdeckten die Brüder Melvill wenigstens eine halbwegs annehmbare Schänke, in der die Touristen absteigen, welche sich nicht mit der beschränkten Zeit begnügen, die der Dampfer ihnen zum Besuch der druidischen und christlichen Ruinen Jonas gönnt. Sie konnten sich also noch am nämlichen Tage in dem »Panzer Duncan’s« einquartieren, während Olivier Sinclair und Aristobulos Ursiclos, jeder wohl oder übel in einer benachbarten Fischerhütte Unterkommen fanden.
Die Gemüthsstimmung der Miß Campbell war jedoch eine solche, daß sie sich in ihrem kleinen Zimmerchen vor dem nach Westen hinausschauenden Fenster ebenso wohl befand, wie auf der Terrasse des Hauptthurmes auf der Villa Helenenburg, und jedenfalls besser als im Salon des Caledonian-Hôtels Hier bot sich ihrem Blicke eine unbegrenzte Fernsicht, hier unterbrach kein Eiland die Kreislinie des Horizonts, und mit Aufgebot einiger Phantasie hätte sie hier, in dreitausend Meilen Entfernung, an der entgegengesetzten Seite des Atlantischen Meeres die amerikanische Küste sehen können. In der That, hier hatte die Sonne eine prächtige Bühne, um die Vorstellung eines glänzenden Untergangs zu geben.
Das gemeinsame Leben ordnete sich also leicht und einfach. Die Mahlzeiten wurden in dem unteren Saale der Schänke in Gesellschaft eingenommen. Nach alter Gewohnheit setzten sich hier Beß und Patridge mit an den Tisch ihrer Herrschaft. Aristobulos Ursiclos zeigte sich hierüber vielleicht ein wenig überrascht, Olivier Sinclair dagegen fand nichts weiter dabei. Er empfand schon eine gewisse Zuneigung zu diesen zwei Dienern, welche sie ihm reichlich vergalten.
Nun führte also die Familie das alte schottische Leben in all’ seiner Einfachheit. Nach den Spaziergängen auf der Insel und den sie belehrenden Unterhaltungen über alte Zeiten, in welche Aristobulos Ursiclos immer zur Unzeit seine modernen Bemerkungen einflechten mußte, kam man zum Mittagsessen, und Abends acht Uhr zum Abendbrot zusammen. Den Sonnenuntergang beobachtete Miß Campbell aber bei jeder Witterung, selbst bei ganz bedecktem Himmel. Wer weiß, in der untersten Wolkenzone konnte ja doch eine Lichtung, ein Spalt, eine Oeffnung entstehen, um den letzten Sonnenstrahl hindurch blitzen zu lassen.
Und welche Mahlzeiten gab es da! Die echten Vollblut-Caledonier Walter Scott’s. die Gäste bei einem Mittagsmahle Fergus Mac Gregors, bei einem Abendessen Oldbuck’s, des Antiquars, hätten an den nach altschottischer Weise hergestellten Gerichten gewiß nichts auszusetzen gehabt. Frau Beß und Patridge fühlten sich. um ein Jahrhundert zurückversetzt, ganz überglücklich, als hätten sie zur Zeit ihrer Voreltern gelebt. Bruder Sam und Bruder Sib ließen sich mit offenbarem Vergnügen die culinarischen Leistungen gefallen, welche sie an die früher in der Familie Melvill üblichen errinnerten.
Hier die Ausrufe, welche man in dem unteren, zum Speisesaal umgewandelten Raume hörte:
»Ein wenig von den Hafermehl-»Cakes«, die weit schmackhafter sind, als die weichlichen Kuchen von
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