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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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diesen Theil des Eilandes bildet. Die schräg verlaufenden Spalten dieser Felsen, welche nach dem Muster eines inneren Bogengewölbes angeordnet scheinen, contrastiren eigenthümlich mit der lothrechten Stellung der Säulen, welche sie tragen.
    Am Fuße jener Stufen hob und senkte sich das Wasser, als ob es tief athmete, schon ein wenig stärker unter der Rückwirkung der hohen Wellen des offenen Meeres. Hier spiegelte sich der ganze Grund der Steinmasse wider, deren schwärzlicher Schatten auf den Wogen schwankte.
    Am oberen Treppenabsatze angekommen, wendete sich Olivier Sinclair zur Linken und zeigte Miß Campbell eine Art schmalen Quai oder vielmehr natürlichen Absatz, der sich längs der Wand bis tief in die Höhle hineinzog. Ein dünnes Geländer von Eisenstangen, die im Basalt befestigt waren, diente als Handleitung zwischen der Wand und der scharfen Kante des Quais.
    »O, sagte Miß Campbell, dieses Geländer verleidet mir ein wenig den Palast Fingal’s.
    – Sie haben Recht, meinte Olivier Sinclair, dieses Eingreifen der Menschenhand in das Werk der Natur stört einigermaßen.
    – Doch, wenn es von Nutzen ist, muß man sich desselben bedienen, bemerkte Bruder Sam.
    – Ich werde es thun!« setzte Bruder Sib hinzu.
    Beim Eintritt in die Fingalshöhle blieben die Besucher auf den Rath ihres Führers stehen.
    Vor ihnen öffnete sich eine Art hohes und tiefes Kirchenschiff voll geheimnißvollen Halbschattens. Im Meeresniveau maß der Raum zwischen beiden Wänden etwa vierunddreißig Fuß. Rechts und links verbargen Basaltpfeiler, welche dicht nebeneinander standen, wie in gewissen Kathedralen der letzten gothischen Periode, die Masse der Grundmauern. Auf die Capitäle diesen Pfeiler stützte sich der Anlauf einer ungeheuren gerippten Wölbung, die sich unter den Schlußsteinen fünfzig Fuß über dem Wasserstand erhob.
    Trotz ihrer staunenden Bewunderung bei diesem ersten Anblick mußten sich Miß Campbell und ihre Begleiter doch endlich von der Betrachtung desselben losreißen und dem nach innen führenden Absatz der Wand folgen.
    Hier streben in vollkommener Ordnung, aber verschiedener Größe, Hunderte prismatischer Säulen empor, gleich Erzeugnissen einer gigantischen Krystallisation.
    Ihre seinen Kanten heben sich so rein von einander ab, als hätte der Meißel eines Bildhauers diese Linien ausgearbeitet. An die nach rückwärts liegenden Winkel der einen schließen sich die nach vorn sehenden der anderen genau an. Die einen derselben zeigen drei Flächen, die anderen vier, fünf bis sieben und acht solche, was bei der allgemeinen Gleichförmigkeit des Styls eine angenehme Abwechslung hervorbringt, welche für den seinen Sinn des Künstlers der Natur ein schönes Zeugniß ablegt.
    Das von außen eindringende Licht spielt auf allen facettirten Winkeln. Auf das Wasser unten treffend und wie von einem Spiegel zurückgestrahlt, schimmert es von submarinen Steinen, auf den grünen, dunkelrothen oder hellgelben Wasserpflanzen, und entzündet mit tausend Blitzen die Vorsprünge des Basaltes, der in unregelmäßigen Abtheilungen die Wölbung dieses Hypogäums, das in der Welt seines Gleichen nicht findet, reizvoll abschließt.
    Darunter herrschte ein tönendes Schweigen – wenn man diese Worte in Verbindung setzen darf – das eigenartige Schweigen aller tiefen Aushöhlungen der Erde, welches die Besucher auch hier nicht zu unterbrechen wagten. Nur der Wind allein strich hindurch in langgezogenen Accorden, welche eine melancholische Reihenfolge einmal anschwellender und dann halb ersterbender Septimen, wie die Saiten einer Aeolsharfe, erklingen ließen. Ist es nicht dieser wunderbare Effect, von dem der Name »An-Na-Vine«, das ist die harmonische Grotte, hergeleitet ist, wie diese Höhle in der Sprache der alten Kelten genannt wurde?
    »Und welcher Name konnte wohl passender erscheinen, sagte Olivier Sinclair, da Fingal der Vater Ossian’s war, dessen Genius es gelang, Poesie und Musik in einer Kunst zu verschmelzen?
    – Ohne Zweifel, stimmte ihm Bruder Sib bei; doch wie Ossian selbst sang: »Wann wird mein Ohr der Barden Lied vernehmen? Wann klopft mein Herz laut bei der Schilderung der Thaten meiner Väter? Ach, in den Wäldern von Sebora weckt des Echos Stimme keine Harfe mehr!«
    – Ja, setzte Bruder Sib hinzu, »Nun steht er öd’ der schimmernde Palast, kein Widerhall tönt mehr vom Sange früh’rer Zeiten!«
    Die ganze Tiefe der Höhle wird auf ungefähr hundertfünfzig Fuß geschätzt. Im

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