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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Ungestüm; noch dichtere blaugraue Wolken erfüllten den Himmel und jagten ziemlich niedrig über die Erde hin. Noch regnete es zwar nicht, aber auch die Sonne blieb unsichtbar; höchstens schien sie einmal in langen Zwischenräumen.
    Miß Campbell schien von diesem widrigen Wetter weniger verstimmt zu werden, als man es hätte glauben sollen.
    Dieses Leben auf einem vom Sturm gepeitschten Eilande entsprach ganz ihrer feurigen Natur. Gleich einer Heroine Walter Scott’s gefiel sie sich darin, zwischen den Felsen von Staffa, in ganz eigenartig neue Gedanken versunken und meist allein, umherzuirren, wobei denn auch Niemand sich ihr zur Begleitung aufdrängte.
    Wiederholt kehrte sie auch nach der Fingalshöhle zurück, deren poetische Eigenthümlichkeit sie lebhaft anzog. Hier verträumte sie ganze Stunden, ohne je der erhaltenen Warnung zu gedenken, sich nicht unachtsam in diesen unterirdischen Palast zu begeben.
    Am nächsten Tage, dem 9. September, hatte sich das Minimum der Depression nach den Küsten Schottlands verschoben. Im Mittelpunkte dieses Wirbels bewegten sich die Luftströme mit unglaublicher Schnelligkeit – das war ein wirklicher Orkan. Es wäre unmöglich gewesen, ihm auf dem Oberlande der Insel Stand zu halten.
    Gegen sieben Uhr Abends, eben als das Diner sie erwartete, bemächtigte sich Olivier Sinclairs und der Brüder Melvill eine namenlose Angst.
    Miß Campbell, die seit drei Stunden, ohne zu sagen wohin, weggegangen war, hatte sich noch nicht wieder blicken lassen.
    Vorher warteten Alle mit steigender Ungeduld bis um sechs Uhr… Miß Campbell erschien nicht.
    Mehrmals stieg Olivier Sinclair nach dem Plateau der Insel hinaus… er sah keine Seele.
    Der Sturm wüthete jetzt mit einer Gewalt ohnegleichen, und das sich zu Wogenbergen aufthürmende Meer donnerte ohne Unterlaß an die nach Südwesten gelegene Küste der Insel.
    »Unglückliche Miß Campbell! rief plötzlich Olivier Sinclair, wenn sie sich jetzt noch in der Fingalshöhle befindet, muß ihr Hilfe werden, sonst ist sie rettungslos verloren.«
Zwanzigstes Capitel.
Für Miß Campbell.
    Einige Augenblicke später war Olivier Sinclair schon längs des Uferdammes hingeeilt und hatte, da wo die Basalttreppe in die Höhe führt, den Eingang der Grotte erreicht.
    Die Brüder Melvill und Patridge folgten ihm auf dem Fuße nach.
    Frau Beß war in unaussprechlicher Angst in Clam Shell zurückgeblieben, bereitete aber Alles vor, um Helena bei ihrer Rückkehr zu empfangen.
    Das Meer stieg jetzt schon so hoch, daß es den oberen Treppenabsatz bespülte; ja, es schäumte sogar über das Eisengeländer hinweg und machte jedes Vordringen auf der inneren Seitengalerie unmöglich.
    Aus der Unmöglichkeit, zu Fuß in die Grotte einzudringen, ergab sich auch die Unmöglichkeit, aus derselben zu entkommen. Wenn Miß Campbell sich darin befand, war sie eine Gefangene. Aber wie es wissen, wie zu ihr gelangen?
    »Helena! Helena!«
    Konnte dieser in das Toben der Wellen hineingerufene Name wohl vernommen werden? Es klang ringsum wie unaufhörliches Donnern von Wind und Wogen, das sich in der Grotte sing. Weder die Stimme, noch der Blick wären im Stande gewesen hindurch zu dringen.
     

    »Helena! Helena!«… (S. 170.)
     
    »Vielleicht ist Miß Campbell überhaupt gar nicht hier, sagte Bruder Sam, der sich zur Selbstberuhigung an diese Hoffnung klammerte.
    – Wo soll sie denn sein? fragte Bruder Sib.
    – Ja, wo sollte sie denn sein? rief Olivier Sinclair. Hab’ ich sie nicht vergebens auf dem Plateau der Insel, unter den Felsen des Ufers und überall gesucht? Würde sie nicht zu uns zurückgekehrt sein, wenn ihr das möglich wäre! – Sie ist hier – kann nur hier sein!«
     

    Während des Zeitraumes einer Secunde… (S 172.)
     
    Man erinnerte sich auch des wiederholt ausgesprochenen, enthusiastischen und von Unerschrockenheit zeugenden Wunsches des jungen Mädchens, in der Fingalshöhle einem Sturme beizuwohnen. Hatte sie also vergessen, daß das Meer diese unter solchen Verhältnissen oft bis zur Decke anfüllt und zu einem Gefängnisse umwandelt?
    Was blieb jetzt zu versuchen übrig, um zu ihr zu gelangen und sie zu retten?
    Unter der Gewalt des Orkans, der diesen Theil des Eilandes mit mächtiger Geißel traf, erhoben sich die Wogen zuweilen schon bis zum Gipfel der Wölbung. Daselbst brachen sie sich mit betäubendem Krachen. Die von dem Hindernisse gestauten Wassermassen stürzten dann, wie die Katarakte eines Niagara, in schäumenden Wirbeln

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