Der gute Liebhaber
einen kurzen Augenblick die Frau am Fenster gesehen, als sie die Vorhänge zuzog. Und ihr Schatten hatte das Licht im Wohnzimmer ausgeschaltet. Dieser letzte Anblick war ihm zuteilgeworden. Nun gab es keinen Grund mehr, nach Island zu reisen.
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Nacht am Silberstrand fünf
Das Haus der Frau, die Sigríður hieß, war wie ihre Kleidung. Gediegen, aber nichtssagend. Nirgends klare Farben. Sitzgelegenheiten, Teppiche und Gardinen grau in grau. Sogar die Gemälde nebulös, doch möglicherweise verbarg sich hinter dem Nebel auf einem der Bilder eine gescheckte Kuh. Der rötlich changierende Goldfisch, der in einer Bowlenschale auf dem Esszimmertisch schwamm, passte nicht in dieses Bühnenbild.
Wieso hast du nur einen Fisch?
Zwei machen viel zu viel Arbeit.
Glaubst du nicht, dass sich das arme Ding langweilt?
Das kann man nicht wissen. Isländische Wissenschaftler haben widerlegt, dass der Goldfisch kein Kurzzeitgedächtnis hat.
Dem zufolge müsste er sich also erinnern können, ob er sich langweilt oder nicht?
Das ist die Frage.
Der Gast setzte sich in die Ecke eines Sofas mit einem haarigen und haarenden Bezug, so etwas blieb in den Sachen hängen. Er war von zwei Drinks unnatürlich beschwipst und fühlte sich sowohl müde als auch schläfrig. Bestenfalls würde er mit schwerem Kopf die Nacht bis zum Morgen im Langhaarsofa verbringen und sich dann irgendwie zur Tür hinausschleichen, um unbemerkt von der Dame des Hauses das Weite zu suchen. Zur nächsten Haltestelle schlendern und den Bus ins Zentrum nehmen. Mit viel Glück würde er noch einmal einen Blick auf Una erhaschen können. Den allerletzten.
Und was darf ich dir dann als Abschiedstrunk anbieten, Karl?
Die Frau drückte sich jetzt schon wie ein Barkeeper im Hôtel Meurice aus. In diesem Moment begriff der Gast, dass ein Barkeeper dort
C’est moi
gesagt haben würde, anstatt wie Cousin Lúther:
Ich habe zu danken
.
Was schlägst du vor?
Wie wär’s mit Rotwein?
Genau das Richtige, danke.
Sigríður am Silberstrand fünf hatte sich die Lodenjacke ausgezogen, darunter trug sie einen graugrünen Pulli zu einer grüngrauen Hose. Ihre Hausschuhe wirkten erdbraun und schwammig. Sie drehte sich um, und ihre Rückansicht war genauso nichtssagend wie die Vorderseite. Etwa 1,68 groß, weder dick noch dünn, nichts an ihr war zu klein oder zu groß, aber über ihre Figur ließen sich keine schlüssigen Aussagen machen, da sie vollständig von ihren Sachen eingehüllt war. Eines stand jedoch fest, sie war gut proportioniert und hatte einen schmalen Hals. Sie bewegte sich auch elegant, was angesichts ihrer neurologischen Behinderung erstaunlich war.
Die Frau machte sich geräuschlos in der Küche zu schaffen. Der Gast im Sofa sah auf seine Hände. Seinen Liebhaberinnen nach zu urteilen, waren es schöne Hände. Eine hatte gesagt: Wie die Hände eines Malers – aber hatten nicht Maler alle möglichen Arten von Händen? Genau wie Pianisten. Bei einigen waren die Finger so kurz, dass sie keinen Rachmaninow spielen konnten. Keinen Chopin. Nein, die Frau, die über Malerhände sprach, hatte nur etwas Schönes sagen wollen, auch wenn es keineswegs mit den Gesetzen der Logik übereinstimmte.
Wenn er sich richtig erinnerte, hatte diese Frau eine ziemliche Schwäche für ihn gehabt, doch glücklicherweise war sie verheiratet. Er machte sich natürlich nach Möglichkeit nur an verheiratete Frauen heran und gab sich dann selber als Familienvater mit einem Kleinkind aus. Genauer gesagt einer Tochter, wenn es wirklich kritisch wurde. Es war de facto eine Leistung (und als solche betrachtete er es auch), dass seine Liebhaberinnen nur in Ausnahmefällen später irgendwelches Theater gemacht hatten.
In eine wirklich unangenehme Situation war er eigentlich nur ein einziges Mal gekommen. Diese Liebhaberin hatte ihm allerdings auch nicht besonders zugesagt. Sie redete zu laut, und noch dazu mit einer raspeligen Raucherstimme, die ihm nicht gefiel. Sie trank nicht nur zu viel, sondern hatte auch im Bett keinerlei Lebensart. Nahm die Zügel zu sehr in die Hand, als es aufs Ganze ging. Äußerte beispielsweise laut und ziemlich dreist Wünsche, die man auch auf dezentere Art und Weise hätte zu verstehen geben können. Er hatte schlicht und ergreifend einen Fehler in der Wahl der Liebhaberin gemacht. Oder besser gesagt, er hatte zwar sofort gesehen, dass sie nicht seinem Standard entsprach, aber er war das Risiko eingegangen.
Diese Liebhaberin hatte
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