Der gute Liebhaber
sogar die Stirn besessen, anschließend Licht zu machen, sich im Bett aufzusetzen und zu rauchen. Ohne zu fragen, ob sie rauchen durfte. Hätte sie das getan, hätte er ihr einen Bademantel und Hausschuhe verpasst und sie auf den Balkon geschickt. Außerdem hatte sie seine gelbe chinesische Schale als Aschenbecher verwendet, ein Ming-Juwel, das für Konfekt vorgesehen war, wenn er im Bett las. (Eine Angewohnheit, die er seit seiner Kindheit beibehalten hatte, als Ástamama ihm zu Weihnachten immer eine Schale mit isländischem Konfekt ans Bett stellte.)
Die Ming-Schale jemals wieder für Konfekt zu verwenden, war unvorstellbar. Sie musste eigentlich entsorgt werden, denn bei jedem Anblick würde sie ihn gnadenlos an eine Frau erinnern, die im Bett keine Lebensart besaß. Sie war sogar so weit gegangen, dass sie nicht aufhören wollte, bevor er nicht auch einen Orgasmus gehabt hätte. Als andere Mittel versagten, war sie handgreiflich geworden. ZWEIMAL hatte er ihr sagen müssen, dass es wohl diesmal nicht bei ihm klappen würde. Beim ersten Mal hatte sie rücksichtslos geantwortet: Unsinn! Beim zweiten Mal sagte sie: Es kann natürlich nicht klappen, wenn du nicht willst. Da war er gezwungen gewesen, sich damit zu entschuldigen, dass er sich zu sehr verausgabt hätte, dass da jetzt einfach nichts mehr liefe.
Als sie Licht gemacht und die Zigarette halb geraucht hatte, setzte sie ihre Brille auf, betrachtete ihn wie eine Preisrichterin bei einer Tierschau und fragte dann: Weshalb willst du kein Licht dabei?
Wahrscheinlich bin ich von Natur aus etwas schüchtern, sagte er.
Ich kann nicht sehen, dass du schüchtern bist.
Man sieht es den Menschen nicht an, ob sie schüchtern sind.
Was Menschen betrifft, bin ich Expertin, sagte sie. Ich glaube nicht, dass du aus Schüchternheit kein Licht machen willst.
Er umging die Falle und fragte nicht, was sie beruflich machte, diese Expertin für Menschen. Sozialberaterin? Psychologin? Er schwieg in der Hoffnung, so ihren Vorstoß ins Private stoppen zu können, aber sie ignorierte die Message.
Ich glaube, du hast mich mit einer anderen Frau verwechselt.
Wüsste nicht, wer das sein sollte, sagte er.
Dir fällt niemand ein, sagte sie lachend, während sie ihn über den Brillenrand hinweg ansah. Man musste es ihr lassen, ihr Lachen war nett. Spitzbübisch. Und wenn sie lachte, war nichts Rauchiges mehr in ihrer Stimme.
Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr und erklärte, jetzt gehen zu müssen. Er war heilfroh. Zu diesem Zeitpunkt ergriff er normalerweise die Initiative, musste einen Zug erwischen, ein Flugzeug, was auch immer, um eine Frau nicht bis zum nächsten Morgen auf dem Hals zu haben. So ein Besuch durfte möglichst nicht länger als drei Stunden dauern. Er war ein beschäftigter Mann und musste seine Zeit nutzen, nicht zuletzt den Schlaf. Undenkbar, das Bett mit einem anderen Menschen zu teilen, das beeinträchtigte die Schlafqualität. Was schlimmer war als gar kein Schlaf. Unpassend. Zu viel Nähe.
Sie stand auf, schlüpfte in seinen Bademantel und ging mit ihren Sachen ins Badezimmer. Sie fragte erst gar nicht, ob sie seinen Bademantel benutzen oder bei ihm duschen durfte. Er war höflichere Liebhaberinnen gewohnt als diese hier, und es missfiel ihm, dass sie sich anscheinend bei ihm wie zu Hause fühlte. Es würde zu keiner weiteren Begegnung mit ihr kommen, so viel stand fest.
Er kleidete sich an und wartete im Wohnzimmer auf sie. Sie duschte erstaunlich rasch und tauchte in Rekordzeit wie neugeboren wieder auf.
Er erhob sich, als sie das Wohnzimmer betrat, in der Hoffnung, dass sie den Hinweis verstehen und die Biege machen würde. Sie übersah das jedoch geflissentlich und ließ sich aufs Sofa fallen. Er setzte sich auf den Sessel gegenüber und schwieg.
Ich bin schon fast wieder nüchtern, sagte sie. Du hast nicht zufällig
one for the road
?
Selbstverständlich. Was darf ich dir anbieten?
Gin Tonic.
Er mixte den Drink für sie, und für sich selber holte er ein Glas Wasser.
Gut gemixt, sagte sie.
Danke, sagte er.
Du bist auch ein extrem guter Liebhaber.
Danke, sagte er.
So gut wie die beste Frau.
Ach?, sagte er.
Ich tendiere mehr und mehr dazu, Frauen den Vorzug zu geben.
Was du nicht sagst.
Ja, erklärte sie seufzend. Wenn man in meinem Alter neue Männer kennenlernt, haben sie alle ein Händchen dafür, einen knallhart an das verheißungsvolle Leben zu erinnern, das es zu Anfang war, doch zu dem Punkt kann man nie wieder zurückfinden.
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