Der gute Liebhaber
verursacht heimtückische, undurchschaubare Schäden und macht Männer zu dem, was ich gerade gesagt habe. Gefühlskälte dagegen verursacht eindeutige und offenkundige Schäden. Aber ich habe kein Interesse an dem, was offenkundig ist. Wie war deine Mutter?
Karl Ástuson musste wieder lachen. Ist das ein Verhör dritten Grades?, fragte er.
Ach, entschuldige, sagte Doreen Ash. Ich bin betrunken. Und ich bin neugierig. Außerdem genieße ich es, nicht ständig darauf achten zu müssen, was man sagt, so wie ich das in meiner Praxis tun muss. Wenn ich mit nicht geistesgestörten Menschen rede, komme ich mir manchmal wie eine Kuh im Frühjahr vor, die aus dem Stall gelassen wird. Und wie war deine Mutter also?
Karl Ástuson lachte wieder und sagte dann: Mama war einfach toll. Sie war immer freundlich und guter Dinge. Immer mit einem Lied auf den Lippen. Sie hatte einen ungewöhnlich hellen Sopran und hätte eine weltberühmte Koloratursängerin werden können. Das hat Róbert Abraham auch gesagt.
Entschuldige bitte, Róbert Abraham?
Ja, nein, Ottósson, den kannst du nicht kennen. Mir hat sie alles Mögliche vorgesungen, und sie hat einen Schlager komponiert, mit dem sie großen Erfolg hatte. Sie hätte es weit bringen können. Sie hatte alles, was es dazu gebraucht hätte. Auch das Aussehen.
Und wie hat sie ausgesehen?, fragte Doreen Ash.
Mama war mittelgroß, sie war schlank und gut gewachsen. Sie hatte dunkle Haare und ausgesprochen hübsche Gesichtszüge. Sie hatte sogar eine schöne Nase. Eine gerade Nase mit einem ganz leichten Knick.
Doreen Ash schwieg, und er fuhr fort: Sie war auf eine unfassbare Weise gut, sie liebte die Welt und alles darin, vor allem aber Menschen, Tiere und Bäume. Sie verstand sich darauf, Freunde zu haben. Sie konnte sich freuen, auch das konnte sie.
Doreen Ash schwieg immer noch, und schließlich sagte er: Sie starb, als ich achtzehn war.
Das hatte er nie zuvor einer Liebhaberin erzählt, und er war erstaunt über sich, geradezu fassungslos. Da saß er auf seinem Sofa, der Morgen graute bereits, und mindestens ein manischer Vogel war bereits putzmunter und verbreitete Musik im ganzen Viertel.
Das ist kein gutes Alter, um seine Mutter zu verlieren, sagte Doreen Ash.
Nein, das ist es nicht.
Es ist das einzige Risiko, das die Leute eingehen, wenn sie Kinder bekommen. Dass sie ihnen wegsterben. Und sämtliche Sprösslinge müssen auch selber dieses entsetzliche Sterben durchmachen.
Darüber habe ich noch nie nachgedacht.
Denk darüber nach.
Das brauche ich nicht.
Wieso nicht?
Es wird nie ein Kind geben.
Ach?
Der Grund geht nur mich etwas an, sagte Karl Ástuson so schroff, dass eine gestandene Psychiaterin zusammenfuhr.
Okay.
Hast du Kinder?, fragte dann ausgerechnet der Mann, der sich darauf spezialisiert hatte, persönliche Fragen zu meiden.
Nein, danke. Und vor allem keinen Sohn, um ihn kaputtzumachen.
Du glaubst nicht, dass deine Wissenschaft dich davor bewahrt hätte?
Ich kann nicht sehen, dass sie meinen Kollegen geholfen hat. Und wie hätte sie dann mir helfen können? Wir können so wissenschaftlich sein, wie wir wollen, doch eines werden wir nie ändern – wir sind blind gegenüber uns selbst. Was glaubst du wohl, wie viele Ärzte ich kenne, die eine schwere Krankheit hatten, aber erst zum Arzt gegangen sind, als es zu spät war? Ich habe schon längst aufgehört, mich bei anderen einzumischen. Wenn ich bei Freunden oder Bekannten etwas bemerke, was ich total närrisch finde, erwähne ich das vielleicht einmal, aber dann nie wieder – es sei denn, der Betreffende käme von sich aus darauf zu sprechen. Das ist aber nur selten der Fall. Und du glaubst doch wohl nicht, dass meine Freunde über das reden würden, was bei mir nicht stimmt. Sie wechseln lieber rasch das Thema, wenn es sich in irgendeiner Form meinen Problemen nähert.
Sie finden vielleicht, dass es da nichts zu besprechen gibt.
Das sind doch nur Höflichkeitsfloskeln. Du siehst ja mit eigenen Augen, dass ich zu viel trinke. Außerdem stellt es eine spezielle Art von Komplikation dar, wenn man bi ist. Da ist man immer im Widerstreit mit sich selber, es reibt einen auf und zerrt auf eine ganz besonders tückische Weise an der Seele.
Das kann ich mir vorstellen, sagte Karl Ástuson verständnisvoll.
Nein, ich glaube nicht, dass du dir das vorstellen kannst, entgegnete Doreen Ash lächelnd.
Darf ich dir noch einen Gin Tonic anbieten?, fragte Karl Ástuson und erwiderte ihr Lächeln. Nicht
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