Der Hagestolz
Victor!«
»Ewig, ewig; aber es ist umsonst.«
»Warum denn?«
»Ich sagte dir ja, daß mir mein Oheim das Gut, das einzige, was übrig blieb, nimmt. Sie ist wohlhabend, ich bin arm, und kann noch lange, lange Zeit kein Weib ernähren. Da wird einer um sie werben kommen, der sie ernähren, ihr schöne Kleider und Geschenke geben kann, und den wird sie nehmen.«
»Nein, nein, nein, Victor, das thut sie nicht - das thut sie ewig nicht. Sie wird dich ihr ganzes Leben lang so lieben, wie du sie, und wird dich nicht verlassen, wie du sie nicht verläßst.«
»O liebe, liebe Hanna!«
»Lieber Victor!«
»Und es wird gewiß eine Zeit kommen, wo ich wieder zurück komme - da werde ich nie ungeduldig werden, und wir werden leben, wie zwei Geschwister, die sich über alles, alles lieben, was nur immer diese Erde tragen kann, und die sich ewig, ewig treu bleiben werden.«
»Ewig, ewig,« sagte sie, indem sie rasch seine dargebothenen Hände ergriff.
Sie brachen in bitterliche Thränen aus.
Victor zog sie sanft gegen sich her, und sie folgte. Sie lehnte das Haupt und das Angesicht an das Tuch seines Rokes, und gleichsam als wären jezt bei ihr alle Schleußen recht geöffnet worden, weinte und schluchzte sie so sehr, als drükte es ihr das Herz ab, weil sie ihn verlieren müsse. Er legte den Arm um sie, wie beschüzend und beschwichtigend, und drükte sie an sein Herz. Er drükte sie immer fester, wie ein hilfloses Wesen. Sie schmiegte sich an ihn, wie an einen Bruder, der jezt gar so, gar so gut ist. Er streichelte mit der einen Hand über ihre Loken, die sie gescheitelt auf dem Haupte trug, dann beugte er sich nieder und küßte ihre Haare - aber sie hob ihr Angesicht zu ihm empor und küßte ihn so heiß auf seine Lippen, so heiß, wie sie nie gedacht hatte, daß sie etwas küssen könne.
Dann standen sie noch eine Weile und sprachen nichts.
Da kam der Gärtnerknabe und sagte, daß ihn die Mutter schike und ihnen sagen lasse, daß sie zu dem Abendessen kommen möchten.
Die seidenen Fleke, welche das Gespräch eingeleitet hatten, hielten sie noch immer in den Händen, aber sie waren verknittert, und manche waren von den Thränen Hannas naß. Sie nahmen daher dieselben zusammen, wie es sich eben fügen wollte und gingen Hand in Hand auf dem Gartenwege gegen das Haus. Als sie die Mutter kommen sah, und die rothgeweinten Augen ihrer Kinder erblikte, lächelte sie und ließ dieselben in die Stube treten.
Hier wurden die Gerichte aufgetragen, die Mutter legte jedem von den beiden vor, wie sie glaubte, daß es ihnen am liebsten sei, sie fragte nicht, was sie gesprochen haben, und so aßen die drei, wie sie an jedem Abende in aller bisher vergangenen Zeit gegessen hatten.
Hanna hatte sehr große braune Augen, die sich während dem Essen jeden Augenblik ohne Anlaß mit Thränen füllen wollten.
Als man fertig war, und ehe man sich zum Schlafengehen anschikte, mußte noch Hannas Geschenk herbei gebracht werden. Es war eine Brieftasche, die mit schneeweißer Seide gefüttert war und schon das Reisegeld enthielt, das die Mutter hinein gelegt hatte.
»Das Geld thue ich heraus,« sagte Victor, »und hebe mir die Brieftasche auf.«
»Nein, nein,« sagte die Mutter, »das Geld lasse drinnen; siehst du, wie schön die gedrukten feinen Papiere in der weißen Seide ruhen. Nebst andern Dingen muß dich Hanna auch immer mit Brieftaschen versehen.«
»Ich werde sehr darauf Acht haben,« antwortete Victor.
Die Mutter schloß nun mit dem winzig kleinen Schlüsselchen das Fach der Brieftasche zu, in welchem das Geld war, und zeigte ihm, wie man das Schlüsselchen berge.
Hierauf trieb sie zum Schlafengehen.
»Lasse das, lasse das,« sagte sie, als sie Victor anmerkte, daß er für das Reisegeld danken wolle, »gehet nun zu Bette. Um fünf Uhr des Morgens mußt du schon auf den Bergen sein, Victor. Ich habe gesorgt, daß uns der Knecht bei rechter Zeit weke, wenn ich mich etwa selber verschlafen sollte. Du mußt noch ein recht gutes Frühmal einnehmen, ehe du fort gehst. - So, Kinder, gute Nacht, schlafet wohl.«
Sie hatte während dieser Worte, wie sie es jeden Abend that, zwei Kerzen für die Kinder angezündet, jedes nahm die seine von dem Tische, wünschte der Mutter eine ehrerbietige gute Nacht, und begab sich auf seine Stube.
Victor konnte noch nicht sein Lager suchen. Die vielen unordentlichen Schatten, die die herumstehenden Dinge warfen, machten das Zimmer unwirthlich. Er ging an ein Fenster und sah hinaus. Der
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