Der Hagestolz
einprägte. Den Brief, den er ihm an den Oheim mit gab, zu welchem Victor nun unmittelbar und zwar auf die ausdrükliche sonderbare und etwas eigensinnige Forderung des Oheims selbst zu Fusse zum Besuche kommen mußte, versprach er recht gut aufzubewahren, und sogleich bei der Ankunft abzugeben.
Als es gegen Abend ging, machten sich die Stadtbewohner auf den Heimweg. Sie ließen ihren Wagen, der in dem Gasthause gehalten hatte, in dem engeren Thale bis zu seiner Mündung in das weitere vorausgehen, und wurden von ihrer Wirthin und Victor und Hanna begleitet.
»Lebt wohl, Frau Ludmilla,« sagte der Vormund, als er in den Wagen stieg, »lebe wohl, Victor, und befolge alles, was ich dir gesagt habe.«
Als er in den Wagen gestiegen war, als Victor noch einmal gedankt und man sich allseitig empfohlen hatte, flogen die Pferde davon.
Es war heute schon zu spät, daß Victor noch weit in den Wald hinauf gegangen wäre. Er blieb zu Hause, sah verschiedene Dinge in dem Garten an, und untersuchte noch einmal alle Habe, die er in sein Ränzchen gepakt hatte.
3. Abschied
Der andere Tag, der letzte, den Victor in diesem Hause zuzubringen hatte, brachte nichts Ungewöhnliches. Man pakte noch manches, man ordnete das schon Geordnete noch einmal, man that, wie es in solchen Fällen sehr gewöhnlich ist, gegen einander, als sollte gar nichts vorfallen, und so war der Vormittag bald vorüber.
Nach dem Mittagsessen, als man kaum aufgestanden war, ging Victor schon an dem Bache durch die Gegend hinauf, und wandelte für sich allein dem Buchengewände und dessen Steinhängen zu.
»Laß ihn gehen, laß ihn gehen,« sagte die alte Frau für sich, »das Herz wird ihm schwer sein.«
»Mutter, wo ist denn Victor?« fragte Hanna einmal im Laufe des Nachmittages.
»Er ist Abschied nehmen gegangen,« antwortete diese, »von der Gegend ist er Abschied nehmen gegangen. Mein Gott! er hat ja nichts anders. Der Vormund, ein so vortrefflicher und vorsorglicher Mann er ist, ist ihm doch ferne, und so sind es auch die Angehörigen des Vormundes.«
Hanna erwiederte auf diese Worte nichts - - gar nicht den leisesten Laut erwiederte sie darauf, und ging zwischen das Gebüsche der kleinen Pflaumenbäume hinein.
Der Rest des Nachmittages verging in diesem Hause, wie gewöhnlich. Die Menschen verbrachten ihn mit den Arbeiten, die ihnen zukamen, die Vögel in ihren Bäumen verzwitscherten ihn, die Hühner gingen in dem Hofe herum, die Gräser und Pflanzen gediehen ein wenig weiter, und die Berge schmükten sich mit Abendgold.
Als die Sonne schon von dem Himmel verschwunden war, und nur mehr die goldblasse, ahnungsreiche Kuppel über dem Thale stand - darum ahnungsreich, weil sie morgen als eben so goldblasse Frühkuppel über dem Thale stehen, und denjenigen auf immer fortführen wird, den hier alle so lieben - als diese Kuppel über dem Thale glänzte, kam Victor von seinem Gange, auf den er sich so eilig nach dem Essen begeben hatte, zurük. Er ging längs der Gartenplanke, um das Pförtchen zu gewinnen, das von der Leinwandbleiche hineinführt. Die weißen Linnenstreifen waren nicht mehr da, nur das grünere und nassere Gras wies die Stellen, wo sie unter Tags gelegen waren - manche Fenster waren über die Gartenbeete gedekt, weil der blanke Himmel eine kühle Nacht versprach - von dem Hause stieg ein dünnes Rauchsäulchen auf, weil die Mutter schon vielleicht für das Abendessen sorgte. Victor hatte sein Angesicht dem Abendhimmel zugewendet, es wurde von demselben sanft beleuchtet, die kühlere Luft floß durch seine Haare, und der Himmel spiegelte sich in dem trauernden Auge.
Hanna hatte ihn beinahe dicht an sich vorüber gehen gesehen, da sie an der inneren Wand der Gartenplanke stand, aber sie hatte nicht den Muth gehabt, ihn anzureden. Das Mädchen war beschäftigt von einem struppigen geschornen Busche Stüke eines Seidenstoffes herab zu lesen, die in einem getrennten Kleide bestanden, gefärbt worden waren, und unter Tags zum Troknen sich auf dem Busche befunden hatten. Stük nach Stük nahm sie herab, und legte sie auf ein Häufchen zusammen. Da sie nach einer Weile umblikte, sah sie Victor im Garten bei der großen Rosenheke stehen.
Später sah sie ihn wieder bei der Heke des blauen Hollunders stehen, der schon Knospen hatte. Der Hollunder aber war viel näher gegen sie her, als die Rosenheke. Dann ging er wieder ein wenig weiter, und endlich kam er zu ihr herzu, und sagte: »Ich will dir etwas hinein tragen helfen,
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