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Der Hagestolz

Der Hagestolz

Titel: Der Hagestolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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hinan.
    Während Victor so durch die Eisenstäbe hinein schaute, und an ihnen allerlei Versuche machte, ob er nicht eine Vorrichtung fände, durch die das Gitter aufgehe, trat ein alter Mann aus dem Gebüsche, und sah nach Victor hin.
    »Habt die Freundschaft,« sagte dieser, »öffnet mir das Thor und führt mich zu dem Herrn des Hauses, wenn nehmlich dieses Gebäude die Klause heißt.«
    Der Mann sagte auf die Worte nichts, sondern ging näher, schaute Victor eine Weile an, und fragte dann: »Bist du zu Fusse gekommen?«
    »Bis zu der Hul bin ich zu Fusse gegangen,« antwortete Victor.
    »Ist es aber auch wahr?«
    Victor wurde glühend roth im Angesichte; denn er hatte nie gelogen.
    »Wenn es nicht so wäre,« antwortete er, »so würde ich es nicht sagen. Wenn ihr mein Oheim seid, wie es fast scheint, so habe ich hier einen Brief von meinem Vormunde, der euch darthun wird, wer ich bin, und daß ich nur auf euer ausdrükliches Verlangen die Fußreise hieher angetreten habe.«
    Mit diesen Worten zog der Jüngling das reinlich erhaltene Schreiben, wie es ihm seine Ziehmutter anbefohlen hatte, hervor, und reichte es zwischen den Eisenstäben hinein.
    Der alte Mann nahm das Schreiben und stekte es ungelesen ein.
    »Dein Vormund ist ein Narr, und ein beschränkter Mensch,« sagte er, »ich sehe, daß du deinem Vater ganz und gar gleich siehst, da er anhob, die Streiche zu machen. Ich habe dich schon über den See fahren gesehen.«
    Victor, der in seinem Leben keine rüksichtslosen Worte gehört hatte, war stumm, und wartete nur, daß der andere das Gitter öffnen werde.
    Dieser aber sagte: »Nimm eine Schnur mit einem Steine, und ertränke diesen Hund in dem See, dann komme wieder hieher, ich werde derweilen öffnen.«
    »Wen soll ich ertränken?« fragte Victor.
    »Nun den Hund, den du da mitgezogen.«
    »Und wenn ich es nicht thue?«
    »So öffne ich dir diese Pforte nicht.«
    »So komme, Spiz,« sagte Victor.
    Er kehrte sich bei diesen Worten um, lief über die Treppe in den Graben, stieg jenseits empor, lief durch den Zwerggarten, durch die Ahornanlage, durch das folgende Gestrippe, und langte an der Seebucht an, mit allen Kräften, deren sein Körper fähig war, hinaus rufend: »Schiffer! - alter Schiffer!«
    Aber es war unmöglich, daß ihn dieser hören konnte. Den Knall eines Scheibengewehres hätte man in dieser Entfernung nicht mehr vernommen. Wie eine schwarze Fliege stand das Schiffchen neben der dunkeln Fußspize des Orlaberges, die weit in den Abendglanz des Seees hinaus stach. Victor nahm sein Saktuch hervor, knüpfte es an seinen Stab, und that allerlei Schwenkungen in die Luft, damit er gesehen würde. Allein man sah ihn nicht, und zulezt, wie er noch immer schwenkte, war auch die schwarze Fliege um die Bergspize verschwunden. Der See war ganz leer und nur die leise schäumende Brandung sah Victor im Abendwinde, der sich indessen gehoben hatte, längs den Felsen der Insel spielen.
    »Es thut nichts - es thut auch nichts,« sagte er, »komme, Spiz, wir werden uns da am Ufer ins Gebüsche sezen, und die Nacht über sizen bleiben. Morgen zeigt sich wohl ein Kahn, den wir herzu winken werden.«
    Was er sagte, that er auch. Er suchte eine Stelle, wo das Gras des Rasens kurz und troken war, und wo die Büsche dicht überhingen, ohne ihm die Aussicht auf den See zu benehmen.
    »Siehst du,« sagte er, »wie es gut ist, wenn man täglich früh Morgens etwas zu sich stekt. Du erprobest es auf dieser Reise schon zum zweiten Male.«
    Bei diesen Worten zog er die zwei Brode heraus, die er heute früh in dem Afelwirthshause mitgenommen hatte, und begann theils selber davon zu essen, theils den Hund damit zu füttern. Da dieses Geschäft vollendet war, saß der Wanderer, der das Ziel seiner Reise erreicht zu haben glaubte, heute zum ersten Male in der einfachen Herberge des freien Himmels, und schaute die Gegenstände um sich herum an. Die Berge, die schönen Berge, die ihm, da er gegen sie heran kam, gar so sehr gefallen hatten, wurden immer schwärzer, und legten drohende dunkle und zersplitterte Fleke auf den See, auf welchem noch das Blaßgold des Abendhimmels lag, das selbst in den dunklen Bergspieglungen zuweilen aufzukte. Und immer sonderbarer, in die Schatten der Nacht sich hüllend, wurden die Gegenstände um ihn herum. Die Schlaken und das schwache Gold des Seees rührten sich und floßen öfters durcheinander, zum Zeichen, daß ein sanfter Luftzug dort herrschen müsse. Victors Auge, freilich nur an die

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