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Der Hagestolz

Der Hagestolz

Titel: Der Hagestolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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und du kannst damit durch die ganze Insel herum gehen.«
    »Freilich verstehe ich ein Feuergewehr zu behandeln,« antwortete Victor, »aber die Singvögel, die ich hier sehe, mag ich nicht schießen; denn sie erbarmen mir zu viel, und auf der ganzen Insel sehe ich nur veraltete Obstbäume und junges darüber wachsendes Waldlaub, da wird schwerlich ein Fuchs oder ein anderes schießbares Wild sein.«
    »Du wirst schon finden, nur muß man das Suchen verstehen.«
    Mit diesen Worten trank der Oheim seinen Wein aus, aß sein Zukerwerk und ließ den Gegenstand fallen. Hierauf gingen sie bald schlafen. Victor wurde jezt nicht mehr, wie in den ersten Tagen von seinem Oheime in das Schlafgemach geleitet, sondern, seit das Schlafgitter nicht mehr gesperrt wurde, zündete er sich nach Beendigung des Males ein Licht an, wünschte dem Oheim gute Nacht, und verfügte sich mit dem Spiz, der jezt auch in Eintracht mit den andern Hunden aß, in seine zwei Gemächer.
    In diesen Verhältnissen verging endlich alle Zeit, die Victor nach dem eigentlich erzwungenen Vertrage noch auf der Insel zu verleben gehabt hatte. Er war nie in Versuchung gekommen, etwas über diese Sachlage zu sagen, weil er zu stolz dazu war. Aber als der lezte Tag vergangen war, den er noch da sein konnte, um dann zu rechter Zeit in sein Amt einzutreffen, pochte ihm das Herz in dem Leibe. Man war mit dem Abendmale fertig. Der Oheim war aufgestanden und kramte in allerlei Papieren, und schob sie nach Art des Alters mit ungeschikten Händen durcheinander. Dann legte er sie aber sammt und sonders in einen Winkel und ließ sie dort liegen. Victor sah schon aus dem ganzen Benehmen, daß der Greis nichts mehr über den Gegenstand sagen werde, er nahm daher sein Licht und begab sich zu Bette.
    Das Frühstük wurde am andern Tage mit derselben Langsamkeit verzehrt, wie bisher immer. Victor hatte auf seiner Stube sein Ränzlein vollständig gepakt, und saß jezt auf seinem Frühmalstuhle und wartete, was der Oheim beginnen werde. Der alte Mann, der mit dem schlotternden grauen Roke angethan war, stand auf und ging ein par Mal durch die Tapetenthür ein und aus. Dann sagte er zu Victor: »Du wirst dieser Tage, heute oder morgen, fort wollen?«
    »Heute, Oheim, muß ich fort, wenn ich nicht zu spät kommen soll,« antwortete Victor.
    »Du kannst ja draußen in Attmaning Fahrgelegenheit nehmen.«
    »Das ist schon eingerechnet, das muß ich ohnehin thun,« sagte Victor; »denn da ihr nichts über die Sache erwähntet, habe ich bis zu dem lezten Augenblike gewartet.«
    »Du mußt also heute,« sagte der Greis zögernd, - »du mußt - wenn du also mußt, so soll dich Christoph überführen, wie ich es gesagt habe. Sind deine Habseligkeiten schon in Ordnung.«
    »Ich habe bereits gestern alles eingepakt.«
    »Gestern hast du schon eingepakt - - und freust dich also sehr - so, so, so! - - Ich wollte doch noch etwas zu dir sagen - - was wollte ich sagen? - - Höre Victor!«
    »Was, Oheim?«
    »Ich denke - und meine - wenn du es nun versuchtest, wenn du freiwillig noch ein wenig bei einem alten Manne bliebest, der niemanden hat.«
    »Wie kann ich denn?«
    »Deinen Urlaub hätte ich da - warte, in den Pfeifentisch, glaube ich, habe ich ihn gelegt.«
    Mit diesen Worten schob der Oheim nun mehrere Fächer an dem Tische und Schreine, auf denen die Pfeifen und Beutel waren, aus und ein, bis er aus einem ein Papier hervor zog und es an Victor hin reichte.
    »Siehst du da.«
    Der Jüngling war im höchsten Grade erstaunt und verlegen; denn das Papier war in der That ein Urlaub auf unbestimmte Zeit.
    »Du kannst es nun halten, wie du willst,« sagte der Oheim. »Ich lasse dich sogleich überführen - aber ich habe dich ersucht, noch ein wenig da zu bleiben, ob wir vielleicht gut mit einander lebten. Du kannst während der Zeit in die Hul, oder wohin es dir sonst gefällt, fahren, und wenn du endlich abreisen willst, so kannst du abreisen.«
    Victor wußte nicht, wie ihm war. Er hatte lange auf den heutigen Tag gewartet - nun sah er den merkwürdigen Mann, den er eigentlich haßte, vor sich stehen und bitten. Das alte eingeschrumpfte Angesicht kam ihm unsäglich verlassen vor - ja es war ihm, als zittere sogar irgend ein Gefühl darinnen. Das gute, schöne Herz, das der Jüngling immer gehabt hatte, regte sich in ihm. Nur einen Augenblik stand er, dann sagte er mit der Offenheit, die ihm eigen war: »Ich will gerne noch eine Zeit da bleiben, Oheim, wenn ihr es wünscht und nach Einsicht und

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