Der Hahn ist tot
mich nichts Schöneres als schaukeln und klettern, auf Dächer und Mauern steigen. Sieh mal!«
Wie das Kind, das sie früher gewesen war, stellte sie sich vor mich auf die Mauer und lachte mich so frech an, so wie sie früher wohl ihre Mutter zur Verzweiflung gebracht hatte.
Ein energischer Stoß mit beiden Händen gegen ihre braunen Beine, und Beate fiel mit einem ganz hohen Schrei und mit dem Sektglas in der einen, dem Hühnerbein in der anderen Hand den Turm hinunter.
Ich sah nach allen Richtungen, Menschen konnte ich nicht entdecken, hörte aber eine Motorsäge in nicht allzu weiter Entfernung. Auch ein jagender Hund schien sich in der Nähe herumzutreiben, keiner rief ihn zur Ordnung, er mochte wildern. In der Ferne die Autobahn, winzig die Wagen, von dort konnte man meinen Turm wohl kaum erkennen, geschweige denn mich. Ich begab mich nun auf den Abstieg, mir zitterten dabei die Knie, so daß es nur langsam die vielen engen Steinstufen hinabging.
Beate war wirklich tot, man brauchte nicht erst nach Puls und Atmung zu forschen. Glasig und unerhört verwundert starrten die weit offenen Augen ins Leere, allem Anschein nach war der Schädel gebrochen, die Wirbelsäule und alle Gliedmaßen. Ich konnte nicht lange hinsehen, mir wurde schlecht, und ich hatte wie damals in Witolds Haus nur den starken Trieb, schnell von diesem Ort wegzulaufen.
Aber jetzt galt es, nicht die Nerven zu verlieren. Das Weinglas war in tausend Scherben explodiert, das konnte ich niemals auflesen, es würde Stunden dauern. Aber meinen Korb mit dem Picknickzeug mußte ich auf jeden Fall mitnehmen, warum hatte ich ihn überhaupt oben auf dem Turm gelassen!
Es fiel mir schwer, wieder hinaufzusteigen. Überhaupt, wie kam ich jetzt heim ohne Wagen und mit dem ganzen Krempel? So genau hatte ich mir das vorher nicht überlegen können. Die Sektflasche leerte ich aus viel war nicht mehr drin. Mit dem Taschentuch hielt ich sie in der linken Hand fest, mit dem Küchentuch polierte ich alle etwaigen Fingerabdrücke ab, löste auch das Etikett vom Supermarkt. Die Flasche konnte hierbleiben. Den Kaffee schüttete ich ebenfalls weg, die Flüssigkeiten würden im Waldboden sofort versickern. Beates Handtasche mit Ausweispapieren, Schlüsselbund und Portemonnaie ließ ich in einer Ecke des Turmes liegen. Aber alles andere mußte ich mitnehmen. Ich packte den Korb, legte das Tuch obenauf, suchte sorgfältig nach weiteren Indizien, fand aber nichts. Fußspuren gab es bei dem anhaltend trockenen Wetter bestimmt nicht.
Ich durfte nicht viel Zeit verlieren. Es war Mittag, kurz nach zwölf, die meisten Wanderer hielten jetzt Rast, hoffte ich. Der Weg zu Fuß bis zu meinem Wagen war weit, oder sollte ich einfach den von Beate nehmen? Wenn man ihn später fand, könnte man immerhin in Betracht ziehen, daß es sich um Selbstmord oder Unfall handelte. Wenn aber kein Wagen hier stand, mußte auf alle Fälle eine zweite Person im Spiel sein.
Ich schaute in Beates Auto, aber es waren keine Gegenstände von mir liegengeblieben. Fingerabdrücke? Nun, die konnten ja ganz legal dort sein, schließlich war ich schon oft mit ihr unterwegs gewesen.
Ich traute mich nicht, den breiten Holzabfuhrweg zu nehmen, sondern kroch durch Dickicht und Gestrüpp, wobei ich einmal völlig die Richtung verlor. Jedenfalls war bergab richtig. Es war gut, daß ich mich versteckt hielt, denn schon bald lief eine größere Gruppe des Odenwaldvereins an mir vorbei. Ich legte mich wie ein Trapper auf den Waldboden und sah dicht an mir rote Strümpfe und Kniebundhosen in großer Anzahl vorbeidefilieren.
Zum Glück hatte ich robuste Schuhe an, aber den Korb verfluchte ich und hätte ihn gern irgendwo stehenlassen, aber natürlich ging das nicht. Wie lange waren wir eigentlich mit dem Auto gefahren? Nicht besonders lang, schien mir, aber zu Fuß zog sich die Strecke ganz schön hin. Bald mußte ich auf die Straße kommen, und wie sah ich aus! Tannennadeln und Spinnweb im Haar, struppig und zerkratzt. Ich machte Pause und begann Moos, Zweige, Kletten und Nadeln sorgfältig abzulesen.
Ich lief nicht auf der B 3, sondern schlug mich parallel dazu durch Maisfelder und Schreberanlagen. Immer wieder traf ich Hobbygärtner, die den sonnigen Herbsttag nutzten, um ihre Äpfel zu pflücken und ihr Stückchen Erde umzugraben. Eine große Türkenfamilie saß unter einem Nußbaum und tafelte, sie grüßten freundlich. Würden mich alle diese Menschen wiedererkennen? Ein Alibi für die Tatzeit hatte ich
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