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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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mein erster Gedanke. Und weiter: So häßlich, wie ich im Augenblick bin, sollte mich keine Menschenseele zu Gesicht bekommen! Aber es fiel mir ein, daß ich mich offiziell krank gemeldet hatte; es war immerhin möglich, daß der Chef den eiligen Vorgang auf meinem Schreibtisch einer Kollegin in die Hand gedrückt hatte und sie Fragen dazu stellen wollte. Aber hätte sie dann nicht angerufen? Oder war es der Chef selbst? Ausgeschlossen; ich fehlte schließlich nie, beim ersten kranken Tag brauchte er mich weder zu kontrollieren noch mir Blumen zu bringen. Also dann die Polizei.
    Ich fuhr in einen räudigen Bademantel und schlappte, kalten Schweiß auf der Stirn und übel aus dem Halse riechend, an die Wohnungstür. Ich drückte auf den Knopf und machte auf. Witold stand direkt vor mir, die Haustür war unten nicht verschlossen gewesen.
    »Mein Gott, Thyra, du siehst ja elend aus!« rief er. »Ich habe in deinem Büro angerufen und gehört, daß du krank bist. Du mußt schon entschuldigen, daß ich so hereinplatze, noch dazu, wo es dir offensichtlich schlecht geht.«
    Ich wies mit der Hand ins Wohnzimmer und ahnte, daß sein Kommen nichts Gutes bedeutete.
    Er kam rein und warf einen hurtigen Blick durch den Raum. »Thyra, setz dich hin, du siehst sehr fiebrig aus. Soll ich dir einen Tee kochen?«
    Wie wunderbar wäre es gewesen, wenn ich sein Kommen geahnt hätte. Dann wäre ich in den lasziven seidenen Schlafanzug, der an alte Greta-Garbo-Filme erinnert, geschlüpft, hätte gebadet und die klebrigen Haare gewaschen und mindestens zehn Minuten lang die Zähne geputzt.
    Ich ließ mich aufs Sofa fallen und sah ihn mit meinen roten Augen an. Witold blieb weiter so fürsorglich.
    »Du wunderst dich sicher, daß ich so unangemeldet hereinschneie. Leider muß ich dir etwas sehr Trauriges mitteilen, das ich nicht am Telefon sagen wollte.«
    »Was denn?« wollte ich herausbringen, aber es war wohl gar nicht zu hören.
    »Deine Freundin Beate ist verunglückt«, sagte er mit sanftester Frauenarzt-Stimme.
    Ich wurde immer blasser, kein Wort kam aus meiner Kehle, ich wünschte mir, ohnmächtig zu werden, aber trotz der Schwärze vor meinen Augen wollte es mir nicht gelingen.
    Witold kniete vor dem Sofa, fühlte meinen Puls, eilte ins Bad und holte einen naßkalten Waschlappen, den er mir unerbittlich auf die Stirn tropfen ließ. Nur nicht den Mund öffnen, ich habe doch vor kurzem erbrochen, dachte ich.
    »Ich Idiot«, schalt sich Witold, »ich hätte dir das bei deinem hohen Fieber gar nicht sagen dürfen«, er lief in die Küche und holte ein Glas Wasser.
    Ich nippte daran und hoffte, daß er sich zwei Meter von mir entfernen würde, was er schließlich auch tat, als die Farbe ein wenig in mein Gesicht zurückkehrte.
    Sicher erwartete er, daß ich Fragen stellte.
    »Ist sie tot?« hauchte ich.
    Witold nickte.
    »Auto?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich erzähle es dir ein andermal«, wich er aus.
    »Nein, ich will jetzt alles wissen«, sagte ich, denn so mußte man reagieren.
    »Am Samstag rief mich Lessi an, ob ich wüßte, wo ihre Mutter ist. Dich hat sie sicher auch angerufen, denn sie hat das ganze Adreßbüchlein von Beate durchtelefoniert. Nun, die Kinder waren wohl am Sonntag alle zu Hause und überlegten, ob sie die Polizei benachrichtigen sollten. Das erübrigte sich, weil die Kripo mit der schrecklichen Nachricht ins Haus kam. Man hat Beate im Wald gefunden, sie ist von einem Aussichtsturm gestürzt.«
    »Wie ist das passiert?«
    Witold griff nach einer Zigarette, sah mein leidendes Gesicht und steckte sie wieder weg. Er zögerte.
    »Es ist nicht genau zu rekonstruieren. Beate war offensichtlich am Samstag vormittag einkaufen gewesen und dann schwimmen. In ihrem Wagen, der in der Nähe des Turms stand, wurden ihre Badesachen und der Wochenendeinkauf gefunden. Warum sie aber dorthin gefahren ist, bleibt ein Rätsel. Eine leere Flasche Sekt und Splitter von einem Glas lagen herum, aber das könnte auch von anderen Leuten stammen. Die Frage ist nun, ob sich Beate an diesem Ort mit jemandem verabredet oder sogar getroffen hat. Ich wollte dich fragen, Thyra, litt Beate unter Depressionen?«
    Jeder, der Beate gekannt hatte, wußte, daß das nicht so war. Ich überlegte ein wenig.
    »Nicht, daß ich wüßte«, antwortete ich, »aber die Wechseljahre machen allen Frauen zu schaffen.« Sofort ärgerte ich mich über meine letzten Worte, denn Witold wußte, daß Beate und ich gleich alt waren.
    »Die Polizei ermittelt gerade,

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