Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
nicht meilenweit davon entfernt.
    Ich hörte am Telefon, wie er an seiner Zigarette zog.
    »Thyra«, ging es wieder weiter, »könntest du dir vorstellen, daß dieser Jürgen Faltermann deine Freundin runtergestoßen hat? Beates Kinder halten wenig von ihm und sind ihm eher aus dem Weg gegangen.«
    »Ich kenne Herrn Faltermann nicht besonders gut«, sagte ich vorsichtig, »so was traue ich ihm eigentlich nicht zu, aber weiß man, was in einem Menschen vorgeht...«
    »Würdest du mir einen Mord zutrauen?« fragte Witold, »na ja, lassen wir das lieber.«
    Ich dachte, daß sein Telefon vielleicht immer noch abgehört wurde, und fand es gar nicht gut, wenn man am Ende auf mich aufmerksam würde.
    »Von woher rufst du an?« fragte ich ängstlich.
    Witold lachte jetzt. »Meine Komplizin ist ein Angsthase. Ich rufe nicht von zu Hause an, versteht sich. Also dann, wir sehen uns auf der Beerdigung. Tschüs, Thyra.«
    In den nächsten Tagen dachte ich manchmal darüber nach, ob ich jetzt Vivian umbringen sollte. Aber ich verwarf diesen Gedanken. Erstens wollte ich überhaupt nie wieder jemanden ermorden, weil ich einfach nicht die Nerven dazu hatte. Zweitens versprach ich dem Geist meiner toten Freundin, mit dem ich nachts häufig Zwiesprache hielt? ihre Kinder nicht anzurühren. Und drittens: Wie sollte ich es überhaupt anstellen? Den Revolver durfte ich nicht mehr benutzen. Vivian und ich hatten eine distanziert-höfliche Beziehung (genau genommen mochten wir einander nicht), nie hätte ich sie irgendwohin locken können.
    Witold liebte sie und sie ihn, so sagte er. Aber das war reine Illusion. Vivian war flatterhaft, über kurz oder lang hatte sie einen anderen, und Witold würde leiden. Wer konnte ihn dann besser trösten als ich? Schließlich wußte ich viel über ihn, das hatte er selbst gesagt, und er wollte ja auch seine Freunde in diese neue Liebschaft noch nicht einweihen.
    Es bestand also kein Grund zum Verzweifeln. Niemand verdächtigte mich, und dem Ziel meiner Bemühungen war ich ein ganzes Stückchen näher gekommen.
     
     

 
5
     
    M ich erreichte die Todesanzeige. Beates Vater und ihre Kinder, Geschwister und Freunde trauerten um sie; der Exmann war nicht aufgeführt, obgleich er doch die Anzeige aufgesetzt hatte.
    Zur Beerdigung bestellte ich einen kleinen Kranz aus blauen Blumen (Beates Lieblingsfarbe): Rittersporn, Eisenhut, Kornblumen, Iris und einige blau eingefärbte Margeriten. Er sah wie ein Hochzeitskranz aus, dachte ich, nicht wie ein Totenkränzlein.
    Ich selbst war zurückhaltend aufgemacht; schwarz mußte sein, Lippenstift und Rouge vermied ich. Mein Selbstbewußtsein war geschrumpft, ängstlich und schüchtern versuchte ich, weder zu früh noch zu spät auf dem Friedhof zu erscheinen.
    Es war eine riesengroße Beerdigung, was ich nicht erwartet hatte. Die Autos standen auf beiden Seiten der Straße, weil sie auf dem Parkplatz nicht unterkamen.
    Auf dem Weg zum Portal rief man hinter mir meinen Namen: »Hallo, Rosi, warte doch!«
    Ich duze mich mit sehr wenigen Menschen, in meinem Mannheimer Büro mit niemandem, obgleich sie mich deswegen für schrullig halten. Aber diese Mode des Duzens am Arbeitsplatz habe ich aus tiefer Überzeugung abgelehnt. Verwandte habe ich keine und auch kaum Freunde zum Duzen. Beate, ja, die kannte ich seit meiner Kindheit, und auch ihre Kinder hatten mich, ohne lange zu fragen, »Rosi« genannt, nicht aber Beates früherer Mann; neulich mal wieder Hartmut aus Berlin - ihn konnte ich wohl oder übel nicht gut siezen; Witold - Gott sei Dank! - und quasi aus Zufall noch sein Freund Dr. Schröder. Sonst gab es keinen, dachte ich. Aber aus der schwarzströmenden Trauergemeinde löste sich doch eine mir flüchtig bekannte Gestalt, die »du« zu mir sagte: Beates letzter Freund, Jürgen Faltermann. Tatsächlich hatte er mir das Du bei unserer einzigen Begegnung regelrecht aufgezwungen. Ich dachte damals, ich würde ihn wahrscheinlich kaum je wieder treffen und wollte auch nicht gar so zickig sein. Nun war er neben mir.
    »Rosi, ich wollte dich schon seit Tagen anrufen, aber ich habe leider deinen Familiennamen vergessen.«
    Er war mir viel zu distanzlos.
    »Hirte«, sagte ich mit müder Kälte.
    »Ach ja, genau! Hirte! Aber ist jetzt egal. Hast du hinterher ein bißchen Zeit, ich muß unbedingt mit dir sprechen.«
    »Wenn’s denn sein muß«, sagte ich ziemlich unfreundlich, aber er erwiderte nur: »Also, dann warte hier am Haupteingang.«
    Wir schoben uns in die kleine

Weitere Kostenlose Bücher