Der Hahn ist tot
hatte.
Wie soll man einen großen starken Mann umbringen (der einen mit zwei Fingern festhalten kann), wenn man keinen Revolver zur Verfügung hat? Gift? Und woher das Gift nehmen? Und wie es ihm eintrichtern? Ein neuer Revolver mußte her. Wie kommt man an so was ran? Ein Profi mußte her, ein Killer! Das war die Lösung. Ach, auch absolut indiskutabel, die wollen doch - laut Fernseh-Krimi - mindestens 100000 DM haben, woher sollte ich die nehmen? Und wie sollte ich einen Killer finden, ich, die anständige Rosemarie Hirte von der Rechtsschutz-Versicherung? Ich schenkte ihm großmütig das Leben.
Außerdem hatte dieser Schuft mir die Chance genommen, nach der Beerdigung mit Witold zu sprechen. Immerhin war es möglich, daß Witold nach diesen traurigen Stunden mit einer Menschenseele reden wollte, aber nicht vor allen Verwandten mit Vivian in Kontakt treten mochte. Er hatte mich bestimmt gesucht. »Thyra«, hätte er gesagt, »komm, du Getreue, gehen wir noch zu dir und plaudern ein wenig!« Vielleicht hatte er sogar gesehen, daß ich mit diesem ekelhaften Jürgen Faltermann abgezogen war.
Ich vergrub mich in mein Bett und hörte die Brahmslieder. »Auch der Küsse Duft mich wie nie berückte, die ich nachts vom Strauch deiner Lippen pflückte.« Witold war ein guter Psychologe. Er wußte, daß sich eine alte Jungfer bei solchen Worten ausweinen kann. Mein ganzes Leben lang hatte ich nicht soviel geweint wie jetzt, im beklagenswerten Alter von zweiundfünfzig Jahren, wo ich mich vielleicht zum ersten und einzigen Mal verliebt hatte, aber leider zu spät.
Konnte ich es mir leisten, geduldig zu warten, auszuharren, bis Vivian sich eine frische Liebe zulegte? Jeder Tag machte mich unwiederbringlich älter und häßlicher. Vielleicht war noch kurzfristig etwas zu retten - Haare färben, teures Makeup, Vitamine und Hormone -, aber man konnte die Tage zählen, wo auch damit nichts mehr auszurichten war.
Vor fünf Jahren hätte ich einen Mann erwürgen sollen, das wäre nur recht und billig gewesen. Ungern dachte ich an dieses Erlebnis zurück, allein bei der Vorstellung an jenen Menschen stieg mir die Schamröte ins Gesicht. Die letzten Urlaube hatte ich meistens mit einer zähen Reisegesellschaft verbracht: »Ältere Herrschaften mit etwas Geld besichtigen Ruinen und baden anschließend an der türkischen Riviera« - so etwa hießen meine langweiligen Unternehmungen.
Aber früher war ich gern ganz allein in ausländische Badeorte gefahren und hatte im Prinzip nichts gegen einen gepflegten Ferienflirt einzuwenden. Dieser junge Mann damals, der fast akzentlos deutsch sprach, hatte anfangs Charme und Witz entwickelt, und ich war durchaus einverstanden gewesen, daß er abends in meinem Hotelzimmer blieb. Nach zwei Tagen hatte er mich in eine teure Boutique geführt, weil er fand, daß ich mir ein maritimes Kleidungsstück zulegen sollte. Angetan von seinem sachkundigen Geschmack, ließ ich mich beraten und erstand ein nicht eben billiges Matrosenkleid, dunkelblau mit großem weißen Kragen. Ohne seine Hilfe hätte ich mich nie zu diesem Kauf entschlossen. Es stand mir phantastisch. Groß und schlank wie ich bin, konnte ich diesen Stil hervorragend tragen und wunderte mich bloß, daß ich nicht selbst auf so eine phänomenale Idee gekommen war.
Der Laden vertrieb auch Herrenkleidung. Nachdem der Kauf des Matrosenkleides beschlossene Sache war, wählte mein Begleiter einen ecrufarbenen Seidenanzug für sich aus und zog ihn probehalber an. Er machte mindestens eine so gute Figur darin, wie zuvor ich in meinem Kleid. Ich nickte ihm anerkennend zu. Ed zeigte er mir diskret das Preisschildchen und gestand, daß dieser Kauf über seine Verhältnisse gehe und ich ihm dabei unter die Arme greifen müsse. Ich schüttelte sofort den Kopf.
»Wenn du dir diesen Anzug nicht leisten kannst, mußt du eben darauf verzichten«, sagte ich sachlich, aber nicht unfreundlich.
Darauf erwiderte mein Freund mit erschütternder Lautstärke: »Dann kannst du dir auch keinen jungen Liebhaber leisten.«
Die Verkäuferin konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ich bezahlte das Kleid, ließ es im Hotelschrank hängen, packte fahrig und fuhr nach Hause.
Wie gern hätte ich diesen bewundernswert gemeinen Gigolo ermordet. Lang dachte ich darüber nach, wie man es hätte anstellen müssen. Im Hotel wäre es nicht leicht gewesen, aber einen Liebhaber konnte man ebenso an verschwiegene Orte locken wie die beste Freundin: Ich hätte ihn von einer
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