Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
wirklich der größte Quatsch, den ich je gehört habe. Die Beate und ich waren zwar kein romantisches Liebespaar, aber wir machten uns gern und waren ehrlich zueinander. So jemand wie du (was meinte er damit?) kann das natürlich nicht begreifen.«
    Ich fühlte mich beleidigt. Schneidend sagte ich, in diesem Ton lasse ich nicht mit mir reden. Ich kennte Beate seit meiner Schulzeit, und sie sei seit langem meine Freundin gewesen.
    »Freundin ist gut«, höhnte Jürgen, »über eine Freundin verbreitet man keine Unwahrheiten. Zu dir hatte sie sowieso kein Vertrauen, sonst hätte sie dir erzählt, was sie mir schon längst gesagt hatte.«
    »Und das wäre?« fragte ich mit rasendem Herzen.
    »Die Beate wußte schon lange, daß die Vivian mit dem Lehrer ging, sie war doch nicht doof! Klar war, daß die Vivian einen neuen Freund hier und nicht in Frankfurt hatte, weil sie auf einmal viel häufiger zu Besuch kam uid dann mit Beates Auto die halbe Nacht wegblieb. Außerdem kam dieser Typ, seinen Namen habe ich gerade vergessen, nachdem er die Vivian kennengelernt hatte, grundlos und wie zufällig öfter vorbei, und immer war dann auch die Vivian da. Mütter sind neugierig! Natürlich hat die Beate aus dem Fenster gespäht, wenn die Vivian abgeholt wurde und ausnahmsweise kein Auto brauchte. Dann sah sie den Lehrer an der Straßenecke warten.«
    Ich atmete schwer. »Na gut, dann hat sie es eben gewußt«, sagte ich, »aber warum soll es nicht stimmen, daß sie trotzdem selbst in ihn verliebt war?«
    »Großer Gott, du bist schwer von Begriff. Sie machte sich wenig aus laschen Softies, oft genug haben wir über ihn gesprochen. Aber andererseits fand sie seine Freundschaft zu der Vivian auch nicht weiter schlimm. Sie sagte ungefähr so: >Lehrer sind meistens pädophil, und Vivian hat einen Vaterkomplex, also haben sie eine solide Basis.< So redet man doch nicht, wenn man selber auf einen Mann scharf ist.«
    »Es könnte auch Tarnung gewesen sein«, wandte ich ein,
    »damit du es nicht merkst.«
    Jürgen sah mich kopfschüttelnd an.
    »In welcher Welt lebt ihr alten Jungfern eigentlich?« posaunte er laut, daß andere Gäste ihre Köpfe umdrehten und mich interessiert begutachteten.
    »Tut mir leid, Rosi, war nicht persönlich gemeint. (Wie denn sonst, dachte ich.) Aber du kannst dir wahrscheinlich nicht vorstellen, daß Beate und ich ohne den ganzen Beziehungsquatsch auskamen.«
    Ich wollte gehen, aber er hielt mich fest, schwitzend und biergefüllt, ähnlich wie Hartmut neulich. Eiskalte Wut kroch in mir hoch.
    »Herr Faltermann, lassen Sie mich los! Ich war eben auf der Beerdigung meiner besten Freundin und bin nicht disponiert für solche beleidigenden Gespräche.«
    »Aha, jetzt bin ich auf einmal der Herr Faltermann. Die Gnädige will sich nicht mit einem Vertreter duzen. Die Beate war ein ganz anderer Mensch als du, die kannte keinen Dünkel und keine Vorurteile. Und in diesen lauen Typ war sie nie im Leben verliebt«, er überlegte kurz, »das könnte ich mir viel eher von dir vorstellen.«
    Flammende Röte stieg mir ins Gesicht, und er sah es.
    »Na, nichts für ungut, Rosi. Ich wollte die höhere Tochter nicht beleidigen. Eigentlich bin ich nur wild geworden, weil mich die Bullen nerven. Und das verdanke ich wahrscheinlich dir. Die denken, ich hätte mich mit Beate zum Sektfrühstück verabredet, sie hätte mir dabei eröffnet, daß sie einen anderen liebt, und ich hätte sie dafür abgemurkst. - Sie wissen nämlich auch, daß ich mit Beate schon einmal früher auf diesem Turm war, das hast du ihnen wohl auch erzählt.«
    »Kann ich jetzt gehen?« fragte ich; mir ging es wirklich wieder ganz schlecht, ich bekam wohl einen Rückfall.
    »Gleich«, sagte Jürgen, »nimm’s nicht so tragisch, ich bin eine ehrliche Haut und sage, was ich denke. Eine Frau in deinem Alter ohne Mann und Kinder hat wahrscheinlich Phantasien über anderer Leute Liebesleben. Steck also deine Nase nicht mehr in Dinge, die dich nichts angehen. Die Beate hätte sich weder aus unglücklicher Liebe umgebracht, noch hätte ich ihr etwas angetan, wenn sie mir den Laufpaß gegeben hätte. Ist das ein für allemal klar?«
    Ich nickte, und er ließ mich endlich los. Ich zahlte an der Theke und machte, daß ich wegkam.
    Im nachhinein fiel mir natürlich so manches ein, was ich ihm hätte sagen können. Wenn er mit den Phantasien alter Jungfern anfing, hätte ich kontern können, daß Beate mir den Qualitätsunterschied von ihm und Witold klargemacht

Weitere Kostenlose Bücher