Der Hahn ist tot
da fing diese blöde Krankheit doch an. Mir ging es schon am frühen Morgen nicht gut, ich habe mit Müh und Not ein paar Lebensmittel besorgt, mich aber gleich wieder ins Bett gelegt. Warum fragst du?«
»Ach, vergiß es. Mir ging gerade durch den Kopf, wie seltsam es ist, daß zwei Frauen innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne sterben und wir in beide Fälle irgendwie verstrickt sind, du und ich. Es gibt schon merkwürdige Zufälle.«
Ich nickte und lehnte mich ermattet zurück. Witold hielt das für ein Zeichen, daß er aufbrechen müsse, damit ich, die Patientin, zur Ruhe käme.
»Ich ruf dich morgen an«, versprach er mit einer gewissen Herzlichkeit und trat ab.
Bevor er kam, bevor ich ihn traf, war ich immer in Hochform. Ich malte mir unsere Begegnungen aus: voll Seelenverwandtschaft, Liebe und erotischer Spannung. Wenn’s dann vorbei war, blieben Enttäuschung und Zweifel. War er überhaupt so einmalig? Wünschte ich ihn wirklich so glühend als Liebhaber?
Ein Glück, daß ich den Revolver nicht benutzt hatte. Man hätte schnell herausgefunden, daß es die gleiche Waffe war, mit der Hilke Engstern erschossen worden war. Zumindest Witold konnte dann zwei und zwei zusammenzählen, denn ich war ja als letzte im Besitz des Revolvers gewesen. Ich durfte ihn auf keinen Fall je wieder gebrauchen, mußte ihn schleunigst beseitigen. Dumpf brütete ich vor mich hin: Wenn man mich als zweifache Mörderin entlarven würde, dann bliebe mir immerhin noch die Möglichkeit, mich selbst zu erschießen.
Diese apokalyptischen Gedanken machten mich wohltuend unglücklich. Witold liebte Vivian, und ich hatte meine beste Freundin umgebracht. Was sollte das alles noch. Leise sagte ich: »Rosi, erschieß dich lieber gleich.«
Da fiel mein Blick auf Witolds Kassette mit den Brahmsliedern. »Für die kranke Seele«, oder so ähnlich hatte er gesagt. Ich legte die Musik in den Recorder, vielleicht enthielt sie ja eine versteckte Botschaft. Am Ende waren es gar keine Brahmslieder, und Witold hatte die Kassette für mich besprochen: eine Liebesbotschaft für mich.
Nun hörte ich das Lied von der Jungfrau, die ihr Hochzeitskränzlein aus Rosen winden wollte. - Nein, das war kein Thema für mich!
»Sie ging im Grünen her und hin, statt Rosen fand sie Rosmarin.«
Oder war es doch eine geheime Nachricht, denn Rosmarie war ja ich? Nun kam der Schluß:
»Sie ging im Garten her und hin, statt Röslein brach sie Rosmarin. >Das nimm du, mein Getreuer, hin! Lieg bei dir unter Linden, mein Totenkränzlein schön!««
Jetzt stellte ich die Musik ab und weinte hemmungslos. Witold, ich bin keine Rose, ich bin nur Rosmarin, und ich werde auch nie einen Rosenkranz zur Hochzeit tragen, sondern ein Totenkränzlein schön.
Irgendwann in der Nacht verließ ich das Sofa, zog den Seidenpyjama aus und das hoffnungslos Geblümte an und legte mich ins Bett. Am nächsten Morgen ging ich zum Arzt und ließ mich für die ganze Woche krankschreiben. Als ich wieder zurückkam, stand ein Polizist vor der Tür, der gerade im Begriff war, wieder zu gehen. Er wollte meinen Namen wissen und war erleichtert, daß er nun nicht ein zweites Mal kommen müsse. Mir fiel mit Entsetzen der Revolver im Koffer ein.
Auf dem Weg treppauf erzählte er, daß er erst bei mir zu Hause angerufen habe und dann im Büro, wo er gehört habe, daß ich krank sei und daß er mich wahrscheinlich in meiner Wohnung anträfe. Ich hielt ihm die gelbe Krankmeldung hin. Er lächelte: »Ist doch klar, man muß zum Arzt, wenn man krank ist. Es dauert auch nur fünf Minuten, dann bin ich wieder weg.«
Er war freundlich, jung und kein hohes Tier, überlegte ich, nicht gleich fünf Mann Mordkommission. Der Polizist begann: »Sie sind eine Freundin von Frau Sperber, deren Todesursache wir aufklären müssen. Die Selbstmordtheorie halten wir für sehr unwahrscheinlich, aber trotzdem erkundigen wir ins bei ihren Freunden, ob sie eventuell mal Gedanken in dieser Richtung geäußert hat.«
»Was sagen denn die anderen Freunde?« fragte ich.
»Alle meinen übereinstimmend, daß sie sich das nicht vorstellen können, sie sei nie depressiv gewesen.«
»Im Prinzip kann ich mir das auch nicht denken. Allerdings habe ich gehört, daß Beate am Tag davor eine Aussprache mit ihrer Tochter hatte. Vivian hat ihr erzählt, daß sie sich mit einem doppelt so alten Mann angefreundet hat.«
»Ja, das wissen wir bereits, die Tochter hat es uns schon mitgeteilt. Aber ihre Mutter hat das sehr gelassen
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