Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)
Zuhause
verbrachte. Sie gingen kaum noch aus, aber Lilly genügte es, dass John einfach
bei ihr war. Und sie hatte geglaubt, er fühle genauso.
Manchmal bemerkte Lilly, dass ihre Liebe zu ihm nicht mehr
so stark war, wie zuvor. Sie gab Johns Verhalten die Schuld daran. Er war so
langweilig geworden. Hatte er denn gar keine Lust, sie mal wieder auf ein Bier
auszuführen, oder mit ihr einen seiner schrecklich schaurigen Filme im Kino
anzusehen, die er immer so geliebt hatte? Aber nein, warum auch? Sie hatte sich
ja oft genug darüber beklagt, dass er nicht einmal einen anständigen Film mit
ihr gucken gehen könne. Es war ihr, als sei John mit der Zeit immer
unlebendiger geworden. Und so saß sie Abend für Abend da und wartete, dass er
eine verrückte Idee für sie beide parat haben würde.
Dann kam der Tag, an dem John ihr erzählte, er habe sich in
einem Fitnessstudio angemeldet. Er müsse raus. Er müsse sich bewegen. Er würde
sonst ersticken. Ja, ersticken, so nannte er es. Was für eine
Geldverschwendung! Lilly mochte keinen Sport. Nicht dass Lilly dick war, nein,
im Gegenteil. Sie war schlank und zierlich, und wenn sie ihr blondes Haar zu
einem Zopf gebunden hatte, wirkte sie alles andere als unsportlich. Die
Vorstellung wie ein süßes Häschen auf einem Laufband herum zu hoppeln und zu
schwitzen, während ihr die anderen dabei zusahen, fand sie geradezu grotesk.
John hatte sie einen Moment lang traurig angesehen, hatte
eine neue Sporttasche auf das Bett gelegt und nach seinen Turnschuhen gefragt.
Mit dem Anflug eines schlechten Gewissens hatte Lilly ihm
offenbart, dass sie die Schuhe schon vor Monaten ausrangiert hatte. Schließlich
seien sie schon mehr als unansehnlich gewesen. John war wütend geworden. Es
seien seine Schuhe gewesen. Sie solle endlich aufhören, sich wie seine Mutter
aufzuführen. Das sei ja unerträglich.
Mit diesen Worten und der leeren Sporttasche unter dem Arm
hatte er die Tür hinter sich zugeschlagen und Lilly wie erstarrt zurück
gelassen. Sie war tief gekrängt gewesen. Wie eine Mutter hatte sie nicht
dastehen wollen. Wie hatte er nur so etwas zu ihr sagen können? Sicher hatte er
es nicht so gemeint.
Von da an war John regelmäßig abends zum Sport gegangen. Er
fragte sie nicht, ob sie mitkommen wolle und er fragte auch nicht, was sie in
den langen Abendstunden seiner Abwesenheit tat. Eines Abends war John gar nicht
mehr nach Hause gekommen.
Als Lilly ihn am darauffolgenden Nachmittag zur Rede
gestellt hatte, hatte er ihr ohne große Umschweife erklärt, dass er ausziehen
werde. Er habe eine andere Frau kennengelernt, die schon seit Längerem gerne
mit ihm zusammen Sport treibe. Lilly war es, als verliere sie den Boden unter
den Füssen. „Und ich sitze hier Abend für Abend rum und warte auf dich, während
du dir eine Jüngere suchst.“ „Nein, Lilly, sie ist sogar ein wenig älter als
du. Aber ich bin wirklich nicht dafür zuständig, dass du nichts mit dir
anzufangen weißt.“ hatte John ruhig geantwortet. Und wieder hatte er ein
bisschen traurig ausgesehen dabei.
Ja, und dann war Lilly selbst es gewesen, die John
hinausgeworfen hatte. Ihn und seinen ganzen Krempel gleich hinterher. Sie hatte
keine andere Möglichkeit gesehen.
Auch jetzt noch glaubte Lilly richtig gehandelt zu haben.
Und ihre Freundinnen hatten sie in diesem Glauben unterstützt. Allerdings
hatten sie in den letzten Wochen zunehmend auch darauf hingewiesen, dass es
Zeit sei für Lilly, wieder nach vorn zu schauen und sich neu zu orientieren.
Aber wie sollte das gehen? Sie hatte die letzten Jahre nur noch für John
gelebt. Ihr wollte einfach nicht einfallen, was sie gern ohne ihn täte.
„Ich werde einfach einen neuen Mann kennenlernen. Einen, der
mich so mag, wie ich bin.“ dachte Lilly und stellte ihren kalten Tee so fest
auf dem Fensterbrett ab, dass ein paar Tropfen überschwappten.
Lilly stand schwerfällig vom Sessel auf. Ihre Beine waren
eingeschlafen. Die Nacht war fast vorbei. An Schlaf war nicht zu denken. Sie
ging ins Bad und sah in den Spiegel. Sie sah furchtbar aus in ihrem
schlabberigen Pyjama und den filzigen, blonden Strähnen, die um ihr blasses
Gesicht herumhingen. Ihre Augen blickten ihr müde und freudlos entgegen. Lilly
erkannte sich selbst kaum wieder.
„Ein Bad!“ beschloss sie. „Ich brauche ein Bad! Und zwar
sofort!“ Während sie das heiße Wasser in die Wanne einlaufen ließ, ging sie ins
Schlafzimmer und kramte ihre Lieblingsjeans hervor.
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