Der Hase aus Amerika und andere Beziehungskisten (German Edition)
Lücke,
die John in ihrem Leben hinterlassen hatte. John verloren zu haben tat nicht
mehr weh, und Holger nie wirklich gehabt zu haben, nur noch ein bisschen.
Der Hase aus Amerika
Es waren noch immer Sommerferien. Ich teilte die
Sommerferien jedes Jahr in zwei Teile auf: Der erste Teil der Ferien war der,
den ich alleine verbringen musste. Der zweite Teil war der, wenn Sandra wieder
da war.
Sandra war meine Freundin. Meine beste Freundin, wie sie
gern betonte. Eigentlich war sie nur deshalb meine beste Freundin, weil sie
meine einzige Freundin war. Darauf war sie sehr stolz und auch für mich stellte
dies kein Problem dar, bis auf eben jenen ersten Teil der Sommerferien, wenn
ich einsam zu Hause saß, während es für mich so aussah, als seien alle anderen
in den Urlaub gefahren oder zumindest mit Freunden losgezogen, die Rasenflächen
rund um die Binnengewässer unserer Stadt zu bevölkern.
Aber für diesen Sommer jedenfalls war Teil eins überstanden.
Gestern Abend hatte Sandra angerufen. Sie war wieder zu Hause. Sie war mit
ihrer Familie einen ganzen Monat lang in Griechenland gewesen. Das taten sie
jedes Jahr. Sie holten dann ihre gigantischen Koffer aus dem Keller.
Sandra hatte noch drei Schwestern: zwei waren älter als sie,
eine jünger. So zogen sie mit sechs Personen und vielen Koffern los Richtung
Flughafen.
Meine Mutter fuhr nie mit mir in den Urlaub. Wir hatten auch
keine gigantischen Koffer. Meistens musste meine Mutter auch während der Ferien
arbeiten, denn die Kollegen, die vor hatten in den Urlaub zu fahren, wurden
stets vorrangig behandelt. Meine Mutter verdiente nicht genug Geld, so sagte
sie jedenfalls. Weil sie allein für mich sorgen müsse, könnten wir uns keinen
Urlaub leisten. Außerdem sei es hier im Sommer auch sehr schön, wenn die Sonne scheine,
hatte sie beschlossen. Leider schien die Sonne nicht allzu oft, aber wenn man
im Büro arbeitete, merkte man das vielleicht nicht so.
Sandra war jedenfalls zurück und hatte mich auch gleich
angerufen. Das machte mich sofort wieder froh. Heute habe sie leider noch keine
Zeit, sagte sie mir. Gleich würde ihr Hase kommen, den habe sie so sehr
vermisst. Er würde auch bei ihr übernachten, aber morgen Nachmittag, da hätte
sie Zeit für mich. Ich müsse unbedingt sehen, wie braun sie geworden sei, und
neue Schuhe habe sie in Griechenland gekauft, mehrere in unterschiedlichen
Farben, total modern seinen die. In Griechenland trügen alle Frauen solche
Schuhe. Ich war großstadtblass und trug noch immer meine alten Turnschuhe, aber
ich freute mich darauf, ihren Geschichten zu lauschen und mir ihren Urlaub noch
einmal nachzuträumen.
Den ganzen Morgen hatte ich aufgeregt in meinem Zimmer
herumgeräumt. Das tat ich immer, wenn ich zu aufgeregt war, um auch nur einen
klaren Gedanken zu fassen. Aufräumen und alten Ballast abwerfen war dann genau
das Richtige für mich. Am frühen Nachmittag verließ ich die Wohnung, setzte ich
mich in den Bus und fuhr zu ihr. Ich klingelte an der alten geschwungenen
Holztür des großen Stadthauses, in dem Sandra mit ihrer Familie wohnte. Es war
wundervoll verziert, drei Stockwerke hoch. Schade, dass Sandra nicht wusste,
wie besonders ihr Haus war.
Nach einigen Minuten des Wartens öffnete mir Sandras Mutter.
Es dauerte immer eine Weile, bis man sich in dem großen Haus einig war, wer die
vielen Stufen hinunter bis zur Haustür gehen würde. Diesmal hatte es wohl
Sandras Mutter getroffen, denn sie hatte im Wohnzimmer gesessen. Das lag im
zweiten Stock und somit eine Etage unter den Zimmern der Kinder und somit am
nächsten an der Haustür. Sie hatte ja auch Zeit die Mutter. Die Wäsche stopften
die Mädchen allein in die Waschmaschine, danach kam alles in einen Trockner.
Irgendjemand lehrte ihn dann immer auf den Boden aus, sodass jeder sich seine
Wäsche aus dem großen Haufen heraussuchen und in sein Zimmer tragen konnte.
Einmal am Tag kochte sie etwas, und immer wenn jemand nach Hause kam, konnte er
sich einen Teller nehmen, ihn nach Belieben füllen und die Mahlzeit in einer
Mikrowelle erwärmen. Dreckiges Geschirr wurde in den Geschirrspüler gestellt. Wenn
die Teller gespült waren, konnte man sie direkt von dort wieder in Gebrauch
nehmen.
Die Hauptaufgabe der Mutter bestand darin, ihrem Mann am
Abend eine ansehnliche und unterhaltsame Ehefrau zu sein. Ihn auf
Gesellschaften zu begleiten, und gelegentlich eine gute Gastgeberin für seine
Arbeitskollegen zu sein. Ich fand das super!
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