Der Hauch Des Bösen: Roman
und wählte eins der Fotos der noch lebenden Rachel aus.
»Was halten Sie davon, Professor Browning?«
»Das ist Rachel.«
»Oh, was für ein hübsches Mädchen«, stellte Angie fest. »Was für ein nettes Lächeln. So jung und frisch.«
»Könnten Sie mir Ihre Meinung zu dem Foto sagen? Ihre professionelle Meinung.«
»Oh.« Leeanne atmete tief ein und legte den Kopf ein wenig schräg. »Es ist ziemlich gut. Licht und Farben
wurden bestens genutzt. Guter Aufnahmewinkel. Sauber und ohne jeden Schnickschnack. Es zeigt die Jugend und Vitalität des Mädchens und lenkt den Blick des Betrachters, wie eben den von Angie, sofort auf das Lächeln. Darauf, wie frisch sie ist. War es das, was Sie von mir wissen wollten?«
»Ja. Könnte man ein solches Foto machen, ohne dass die fotografierte Person etwas davon bemerkt?«
»Natürlich, wenn man gute Instinkte hat.« Sie ließ das Foto wieder sinken. »Hat der Killer diese Aufnahme gemacht?«
»Möglich.«
»Sie wurde ermordet?« Angie schlang einen ihrer Arme um Leeanne. »Oh, das ist ja grausam. Wie konnte jemand einem jungen, süßen Mädchen wie ihr so etwas antun?«
»Süß?«, hakte Eve umgehend nach.
»Man braucht sich doch nur ihr Gesicht und ihre Augen anzusehen.« Angie schüttelte den Kopf. »Man sieht es ihr schlicht an. Wenn man sie genau betrachtet, merkt man, dass sie ein unschuldiges junges Ding war.«
Als sie mit dem Lift wieder nach unten fuhren, rief Eve sich die Aufnahmen von Rachel vor ihrem geistigen Auge auf. So, wie sie gewesen - und so, wie sie von ihm verunstaltet worden ist. »Vielleicht hat er genau das gewollt«, murmelte sie nachdenklich. »Vielleicht hat er es ja gerade auf ihre Unschuld abgesehen.«
»Er hat sie nicht vergewaltigt.«
»Es ging ihm nicht um Sex. Es ging um etwas... Spirituelles oder so was. Ihr Licht war rein«, erinnerte sie sich. »Womöglich meint er damit ihre Seele. Gibt
es nicht einen Aberglauben, dass man den Menschen mit der Kamera die Seele raubt?«
»Ich habe schon mal davon gehört. Wohin fahren wir jetzt, Lieutenant?«, wollte ihre Assistentin wissen.
»Zum College.«
»Cool. Am College gibt es jede Menge echt heißer Jungs.« Als Eve sie giftig ansah, erklärte sie ihr schulterzuckend: »Dass McNab und ich inzwischen eine feste, reife Beziehung zueinander haben...«
»Ich will nichts von Ihrer festen, reifen Beziehung zu diesem Typen hören. Das macht mich nur nervös.«
»Dass wir eine Beziehung haben«, fuhr Peabody unerschrocken fort, »heißt noch lange nicht, dass ich keine anderen Männer mehr angucken kann. Jede Frau mit Augen im Kopf ist nicht blind für andere Männer. Okay, Sie vielleicht doch, denn was sollte Ihnen ein anderer Mann schon bieten können?«
»Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir in einem Mordfall ermitteln und nicht auf Männersuche gehen.«
»Es ist doch längst erwiesen, dass Frauen multitaskingfähig sind. Deshalb könnten wir beispielsweise prüfen, ob es auf dem Weg zum College irgendwo etwas zu essen gibt. Auf diese Weise könnten wir ermitteln, dem Körper Energie zuführen und gleichzeitig ein bisschen glotzen.«
»Geglotzt wird nicht. Von jetzt an ist Glotzen zu jedem Zeitpunkt der aktiven Ermittlungen verboten.«
Peabody verzog beleidigt das Gesicht. »Sie sind heute aber echt gemein.«
»Ja. Ja, das bin ich.« Eve atmete zufrieden die stickig
heiße Stadtluft ein und erklärte lächelnd: »Und ich bin es gerne.«
Mit der Nachricht von einem plötzlichen, gewaltsamen Tod gingen die Menschen unterschiedlich um. Eine der möglichen Reaktionen waren Tränen, und bis Eve mit einem halben Dutzend Freundinnen und Lehrern der toten jungen Frau gesprochen hatte, hatte sie das Gefühl, dass sie fast in einem Meer der Tränen unterging.
Sie saß auf der Kante eines Bettes in einem mit zwei Betten, zwei Tischen und zwei Schränken zugestellten Raum. Jeder freie Zentimeter war mit geheimnisvollen Mädchenutensilien vollgestopft. An den Wänden hingen Poster und Gemälde, auf den Tischen standen Boxen mit Disketten und irgendwelches Mädchenzeug. Die Bettdecken waren rosa, die Wände pastellgrün, und das ganze Zimmer roch so süß, dass ihr Magen schwach, aber unbeirrt rebellierte.
Sie hätte auf ihre Assistentin hören und etwas essen sollen, dachte sie.
Zwei Mädchen saßen ihr direkt gegenüber, hielten einander wie zwei Liebende umschlungen und schluchzten sich die Seele aus dem Leib.
»Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein.«
Sie hatte keine
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