Der Hauch Des Bösen: Roman
Teambesprechung ist um elf. Ich buche sofort einen Besprechungsraum.« Sie bedachte Peabody mit einem Seitenblick, worauf diese rasch ihr Handy aus der Tasche zog. »Seien Sie pünktlich samt der Kiste dort.« Sie wartete einen Moment. »Gut gemacht, Detective.«
Ehe sie die Übertragung abbrach, hellte sich seine Miene noch einmal sichtlich auf.
»Konferenzraum A, Lieutenant«, erklärte Peabody ihr.
»Gut. Rufen Sie Feeney an, ob er kommen kann.«
Sie sichtete die bisherigen Beweise, führte ein paar Wahrscheinlichkeitsberechnungen durch, studierte den Laborbericht und den des Pathologen, brachte ihre Unterlagen auf den neuesten Stand und wählte schließlich schuldbewusst die Nummer von Nadine.
»Ich wollte Sie auf den neuesten Stand bringen, doch ich kann Ihnen leider noch nicht besonders viel erzählen.«
»Will«, verbesserte Nadine.
»Meinetwegen beides«, gab Eve unumwunden zu. »Ich gehe ein paar Spuren nach, von denen eine durchaus vielversprechend ist.«
»Und wie sieht diese Spur aus?«
»Sobald es einen Durchbruch gibt, werde ich es Ihnen sagen. Das verspreche ich. Ich schließe Sie nicht aus, ich habe echt nichts, was ich Ihnen geben kann.«
»Irgendetwas gibt es immer. Also schießen Sie schon los.«
Nach kurzem Zögern schnaubte Eve hörbar. »Sie können sagen, dass eine Quelle auf dem Hauptrevier bestätigt hat, dass es kein Sexualverbrechen war und dass die Ermittler davon ausgehen, dass das Opfer seinen Mörder kannte. Die Ermittlungsleiterin steht zurzeit leider für einen Kommentar nicht zur Verfügung.«
»Gerissen. Aber sehen Sie, irgendetwas gibt es immer. Wurde der Leichnam inzwischen freigegeben?«
»Der Pathologe wird ihn morgen der Familie überlassen. Aber jetzt muss ich los, Nadine. Ich habe gleich eine Besprechung.«
»Eins noch. Bestätigen Sie mir, dass die Ermittlungsleiterin und ihre Leute davon ausgehen, dass Rachel Howards Mörder noch einmal töten wird?«
»Nein, das bestätige ich Ihnen nicht. Spielen Sie diese Karte besser nicht, Nadine. Spielen Sie sie besser nicht.«
Damit beendete sie das Gespräch und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Denn, so dachte sie, es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis diese Karte von selber ins Spiel kam.
Sie war die Erste im Besprechungszimmer und setzte sich an den Tisch, zog ihren Notizblock aus der Tasche,
machte sich ein paar Stichpunkte und las sie noch einmal durch.
Bilder, Jugend, Reinheit, Porträt, Licht.
Ihr Licht war rein.
Jungfräulichkeit?
Wie in aller Welt hatte ihr Mörder wissen können, dass sie Jungfrau gewesen war?
War er ein Vertrauter gewesen? Ein potenzieller Lover? Ein Berater? Eine Autoritätsfigur?
Wem hatte Rachel vertraut? Eve rief das hübsche, lächelnde Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf.
Verdammt, der ganzen Welt.
Hatte sie selber jemals anderen Menschen derart leicht und vollkommen vertraut? Wohl kaum, sagte sie sich. Aber sie stammte auch nicht aus einer stabilen, netten Familie, mit stabilen, netten Eltern und einer vorlauten kleinen Schwester. Rachels gesamtes Leben war beinahe unnatürlich normal gewesen, dachte sie. Bis auf die letzten Stunden. Sie hatte eine anständige Familie, nette Freundinnen und Freunde, schulischen Erfolg, einen beschissenen Teilzeitjob, eine gediegene Nachbarschaft gehabt.
In Rachels Alter hatte Eve die Ausbildung zur Polizistin bereits abgeschlossen und eine Uniform getragen. Hatte den Tod nicht nur bereits gesehen, sondern obendrein schon selbst verursacht.
Und sie war auch keine Jungfrau mehr gewesen, denn ihre Unschuld hatte man ihr mit sechs oder sieben Jahren geraubt. Wie alt war sie gewesen, als sie zum ersten Mal von ihrem Vater vergewaltigt worden war?
Was machte das für einen Unterschied? Ihr Licht
war niemals rein gewesen, das wusste sie mit Sicherheit.
Genau das hatte ihn zu ihr hingezogen. Genau das hatte er von ihr gewollt. Unschuld und Normalität. Deshalb hatte er sie umgebracht.
Als McNab hereinkam, drehte sie den Kopf und blickte ihm entgegen. Er wuchtete die unförmige Kiste aus dem Internetlokal herein, und gegen ihren Willen prüfte sie seinen Gang. Im letzten Monat hatte er einen direkten Treffer aus einem Stunner abbekommen, und erst nach mehreren sorgenvollen Tagen war langsam das Gefühl in seine linke Körperhälfte zurückgekehrt.
Selbst wenn er noch nicht wieder tänzelte, war aber zumindest kein Hinken und kein Nachziehen des linken Beines mehr zu beobachten. Und die Muskeln in den beiden Oberarmen
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