Der Heckenritter von Westeros
Schilde. Wenn Donner sich allerdings ein Bein brechen sollte … nun, ein Ritter ohne Pferd war einfach kein Ritter.
Ei folgte ihm mit Maester und den Weinfässern im Abstand von fünf Schritten. Der Junge lief barfuß, mit einem Fuß in der Furche und einem daneben, dadurch hüpfte er bei jedem Schritt auf und ab. Den Dolch trug er in einer Scheide an der Hüfte, die Stiefel hatte er an seinem Bündel festgeknotet, das braune Hemd zusammengerollt und um den Bauch geschlungen. Unter seinem breitkrempigen Strohhut lugte sein schmutziges Gesicht hervor, die Augen waren groß und dunkel. Er war zehn Jahre alt und noch nicht ganz anderthalb Meter groß. In letzter Zeit wuchs er schnell, doch es würde noch sehr lange dauern, bis er Dunk eingeholt hatte. Er sah aus wie der Stallbursche, der er nicht war, und ganz und gar nicht wie derjenige, der er in Wirklichkeit war.
Die Toten blieben bald hinter ihnen zurück, und trotzdem verweilte Dunk in Gedanken bei ihnen. In diesen Zeiten wimmelte es im Reich von Gesetzlosen. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass die Dürre bald zu Ende ging, und das gemeine Volk hatte sich zu Tausenden auf Wanderschaft begeben, um einen Ort zu finden, an dem es noch regnete. Lord Blutrabe hatte allen befohlen, auf ihr Land und zu ihren Lords zurückzukehren, doch die wenigsten gehorchten. Viele gaben Blutrabe und König Aerys die Schuld an der Dürre. Sie sei eine Strafe der Götter, sagten sie, denn der Sippenmörder sei verflucht. Wenn sie ein wenig Verstand hatten, sagten sie es freilich nicht laut. Wie viele Augen hat Lord Blutrabe?, lautete ein Rätsel, das Ei in Altsass gehört hatte. Eintausend Augen und eins.
Vor sechs Jahren hatte Dunk ihn in Königsmund selbst gesehen, wie er auf einem bleichen Pferd mit fünfzig Rabenzähnen hinter sich die Straße des Stahls entlangritt. Das war, bevor König Aerys den Eisernen Thron bestiegen und ihn zur Hand gemacht hatte, und dennoch war Lord Blutrabe eine eindrucksvolle Gestalt gewesen, wie er so in Rauchgrau und Scharlachrot gekleidet daherritt und Dunkle Schwester stolz an der Hüfte trug. Mit seiner blassen Haut und dem knochenweißen Haar sah er aus wie ein lebender Leichnam. Auf Wange und Kiefer prangte ein weinfarbenes Muttermal, das angeblich an einen roten Raben erinnerte, obwohl Dunk nur einen eigenartig geformten Flecken verfärbter Haut erkennen konnte. Er starrte Blutrabe so nachdrücklich an, dass dieser seinen Blick bemerkte. Der Zauberer des Königs betrachtete ihn eingehend, während er vorbeiritt. Er hatte nur ein Auge, und das war rot. Das andere war eine leere Augenhöhle, ein Geschenk von Bitterstahl auf dem Rotgrasfeld. Trotzdem beschlich Dunk das Gefühl, der Zauberer schaue ihm mit beiden Augen geradewegs in die Seele.
Ungeachtet der Hitze fröstelte ihn bei dieser Erinnerung. »Ser?«, rief Ei. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl?«
»Nein«, antwortete Dunk. »Ich leide nur genauso unter Hitze und Durst wie sie.« Er zeigte auf ein Feld neben der Straße, wo die Melonen reihenweise an der Pflanze schrumpelten. Am Rain klammerten sich Erdsternchen und Teufelsgras noch ans Leben, doch die Früchte hatten bereits aufgegeben. Dunk wusste, wie sich die Melonen fühlen mussten. Ser Arlan pflegte zu sagen, ein Heckenritter brauche niemals Durst leiden. »Nicht, solange er einen Helm hat, in dem er Regen auffangen kann. Regenwasser ist das Beste, was man trinken kann, Junge.« Der alte Mann hatte wohl nie einen Sommer wie diesen erlebt. Dunk hatte seinen Helm in Trotzburg gelassen. Bei dieser Hitze war er zu schwer zum Tragen, und es gab auch keinerlei Regen, den man damit hätte einfangen können. Was soll ein Heckenritter tun, wenn selbst die Hecken braun werden, vertrocknen und sterben?
Vielleicht würde er ein Bad nehmen, wenn sie den Fluss erreichten. Er lächelte bei der Vorstellung, wie schön es sich anfühlen würde, einfach ins Wasser zu springen und tropfnass und mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder herauszukommen, während das Wasser über die Wangen und aus den Haaren rann und das Hemd nass am Leib klebte. Ei würde sicherlich auch baden wollen, obwohl der Junge eher kühl und trocken wirkte, eher staubig als verschwitzt. Der Junge schwitzte nie besonders stark. Ihm gefiel die Hitze. In Dorne lief er mit nacktem Oberkörper herum und wurde so braun wie ein Dornischer. Das ist sein Drachenblut, sagte sich Dunk. Wer hätte je von einem schwitzenden Drachen gehört? Am liebsten hätte auch er das Hemd ausgezogen,
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