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Der Heiler

Der Heiler

Titel: Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antti Tuomainen
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mich nach einem Kaffee gesehnt hatte. Und ich merkte auch, dass ich ihn keine Sekunde früher runterbekommen hätte. Erneut verbannte ich den Anblick der Wohnung voller Blut in Jätkäsaari aus meinem Gedächtnis.
    Ich erzählte Frau Bonsdorff von dem Mann, der seinerzeit im selben Haus gewohnt hatte, beschrieb Tarkiainen, nannte seinen Namen und seinen Beruf und fügte hinzu, dass ich möglicherweise im ganz falschen Haus war. Schließlich zeigte ich ihr Tarkiainens Foto auf meinem Handy.
    Sie erstarrte und versicherte mir, dass ich absolut am richtigen Ort war. »Ich erinnere mich sehr gut an den Mann«, erklärte sie.
    Â»Er starb vor fünf Jahren«, sagte ich.
    Sie schien verwirrt. »Vor fünf Jahren?«, fragte sie.
    Ich nickte.
    Sie hielt den Henkel, als wollte sie die Porzellantasse kneifen. »In diesem Alter vergeht natürlich jedes Jahr schneller als das vorige, aber fünf Jahre kann es auf keinen Fall her sein.«
    Â»Was denn?«, fragte ich.
    Â»Erik hatte seine letzten Tage erlebt«, sagte Frau Bonsdorff. »Mein Mann. Er ist an Leberkrebs gestorben. Vorher hatte er schon andere Krebsarten, Kehlkopf- und ­Magenkrebs. Die Schmerzen waren schrecklich, unbeschreiblich.« Ihre Blicke verirrten sich in die Ferne, nach draußen in den Nebel. »Ich habe Erik geliebt, und wir hatten nur noch uns«, sagte sie leise und trank von ihrem Kaffee.
    Ich nahm mir ein Gebäckstück vom Teller, biss eine Ecke ab und ließ die Toffee-Essenz im Munde zergehen.
    Frau Bonsdorff stellte ihre Tasse mit leisem Klirren ab. »Erik war ein tapferer Mann, ein guter Mann, ein starker Mann. Oder vielmehr, solange er das noch war. Niemand hält dem stand, wenn das Alter und Krankheiten kommen und die Zeit knapp wird. Unsere Kinder und Enkelkinder sind weit weg in Amerika, und wir haben den Kontakt mit ihnen über Skype gehalten. Das hat die Sehn sucht nur noch schlimmer gemacht. Ich bin so alt, ich muss die anderen berühren, ihnen nahe sein, sie fühlen, streicheln und umarmen dürfen. Und ich möchte auch selbst im Arm gehalten werden. Erik war genauso. Wir waren füreinander da, einer die Stütze für den anderen.«
    Sie machte eine kleine Pause, versank immer tiefer im Nebel, bemerkte es selbst und richtete ihren Blick wieder auf mich. »Bist du verheiratet?«, fragte sie.
    Â»Ja, bin ich«, sagte ich und ergänzte rasch: »Eigentlich bin ich deswegen hier.«
    Sie sah mich fragend an.
    Â»Meine Frau ist verschwunden«, sagte ich. »Der Mann, nach dem ich Sie gefragt habe, weiß eventuell etwas dar­über. Ich suche also eigentlich nicht ihn, sondern meine Frau.«
    Â»Habt ihr Kinder?«
    Â»Nein.«
    Â»Darf man fragen, warum nicht?«
    Â»Sicher. Wir haben keine bekommen.«
    Sie schien die Antwort abzuwägen. »Ihr seid zu zweit.«
    Â»Stimmt.«
    Â»Das ist auch gut.«
    Ich spürte den Kloß in meiner Kehle und wischte mir sicherheitshalber die Augen. »Ja, das ist auch gut«, bestätigte ich.
    Wir saßen uns am Tisch gegenüber, zwei Menschen, die sich zufällig begegnet waren. Mir wurde plötzlich deutlich bewusst, wie viel wir beide gemein hatten. Wie viel alle Menschen gemein haben. Ich wollte die Stille nicht unterbrechen, denn auch sie verband uns, wirkte seltsam beruhigend, fast endgültig. Ich wollte Frau Bonsdorff nicht ausfragen, nicht verhören. Vielleicht würde sie früher oder später auf den Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückkommen.
    Ich trank den starken Kaffee, ließ ihn kurz auf meiner Zunge brennen, ehe ich ihn hinunterschluckte. Dabei betrachtete ich die Gemälde an den Wänden. Sie zeigten im Sonnenlicht badende Küstenmotive, rot und gelb gestrichene Bauernhäuser, goldgelb schimmernde Felder und dunkelgrüne Wälder, die wie erfunden wirkten.
    Â»Eriks Schmerzen schienen zu wachsen, je mehr Medikamente er bekam«, sagte Frau Bonsdorff, als ich gerade über Wiesen mit kniehohen, wehenden Grashalmen gegangen war und die Tür einer Blockhütte öffnen wollte.
    Â»Der Krebs ist natürlich fortgeschritten. Und gerade da hat jener junge Mann seine Hilfe angeboten.«
    Â»Wie das?«
    Frau Bonsdorff wirkte nachdenklich. »Jetzt, wo du fragst. Überraschend war es schon, dass er ausgerechnet dann kam, als es am schlimmsten war. Eines Tages stand er einfach vor der Tür.«
    Â»Wann war das?«, fragte ich und

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