Der Heiler
unter. Da kann man nichts machen.«
Sie wirft mir einen Blick zu und lächelt nicht mehr. »Und wir sind nur zu zweit. Wie denkst du darüber?«
»Ich denke an dich«, sage ich. »Ich denke daran, dass ich mit dir zusammen bin.«
»Reicht das?«, fragt sie, ohne mir in die Augen zu sehen.
»Ja«, sage ich. »Oder es ist falsch ausgedrückt. Ich bin glücklich mit dir. Das wollte ich eigentlich sagen.«
Sie trinkt, ihre Oberlippe ragt einen halben Zentimeter über den Rand der Tasse. Sie schlürft den heiÃen Tee, schluckt vorsichtig, konzentriert. Wir sitzen still da.
»Was denkst du, wenn du die Nachrichten siehst?«, fragt sie.
»Ãberrascht bin ich nicht wirklich«, sage ich. »Es gab genügend Vorzeichen.«
Ein paar Staubpartikel tanzen in den letzten Sonnenstrahlen.
»Wie lange sind wir schon zusammen?«, fragt Johanna, und das Lächeln ist nicht mehr weit.
»WeiÃt du es denn nicht?«
Sie lacht. »Dummkopf«, sagt sie. »Ich will wissen, ob du es weiÃt.«
»Natürlich weià ich es.«
»Sechseinhalb Jahre«, sagt sie
»Ich bin überrascht. Du erinnerst dich.«
»Selbstverständlich erinnere ich mich.«
»Das ist die beste Zeit meines Lebens«, sage ich dann.
»Jetzt gerade?«
»Auch jetzt«, antworte ich und ergänze: »Und die ganzen letzten sechseinhalb Jahre.«
»Geht mir genauso.« Sie fischt nach dem Ingwer in der Tasse. Ich höre, wie sie die rohen Stücke genüsslich kaut. Wie sehr liebe ich doch diese Frau und ihre lustigen Gewohnheiten.
»Wenn du könntest, was würdest du dann ändern?«, fragt sie.
»Ich weià nicht«, sagte ich. »Ich habe mal ein Buch gelesen, in dem sich immer, wenn jemand eine Kleinigkeit geändert hat, auch alles andere auf der ganzen Welt verändert hat. Was durchaus stimmen kann. Oder sogar stimmt. Wenn ich etwas ändern würde, würde ich auch alles andere beeinflussen und das ändern, was ich gar nicht ändern wollte. Und ich will nichts zwischen uns ändern.«
Ich streiche ihr über die sehnige Schulter, unter dem Hemd zeichnet sich der Muskel als kleiner, fester Ball ab. Johanna treibt Sport, und das fühlt man bei jeder Berührung.
»Du würdest nicht mal diesen Tag ändern?«, fragt sie.
»Nicht mal diesen Tag.«
Sie stellt die Tasse auf dem Tisch ab, wo sie in der Dunkelheit verschwindet. »Ich habe mich wohl geirrt«, sagt Johanna.
»Worin?«
»Ich hätte gedacht, dass die ganze Welt zusammenbricht, wenn man das erfährt, was wir heute erfahren haben.«
»Sie bricht nicht zusammen.«
»Nein, das tut sie nicht«, wiederholt Johanna.
Wir sitzen schweigend da, irgendwo im Haus wird eine Tür geöffnet und dann wieder geschlossen. Das Echo nimmt einen kurzen Anlauf, verhallt aber sofort. Bald ist ringsum wieder alles still.
»Und was nun?«, fragt Johanna.
»Was meinst du?«
»Wie machen wir weiter?«, will sie wissen.
»Ganz normal«, sage ich. »Die Welt dreht sich weiter. Wir lieben uns.«
»Und dann?«
»Wie ich sagte. Die Welt dreht sich weiter. Wir lieben uns.«
Johanna lacht. »Du bist ein ziemlich einfallsloser Kerl.«
»Aber du hast mich geheiratet.«
»Stimmt. Und ich habe mich geirrt.«
»Inwiefern?«
»Weil ich angenommen hatte, dass noch mehr fürs Glück nötig ist.«
»Was ist dafür denn nötig?«, frage ich.
Sie lässt zwei Fingerspitzen über meinen Arm wandern, es ist angenehm und kitzelt zugleich ein bisschen. Staubpartikel wirbeln herum, ein Luftstrom ist durchs Zimmer geweht, vielleicht aus dem angekippten KüchenÂfenster.
»Was ist fürs Glück nötig?«, frage ich erneut.
»Das hier. Du. Ich. Wir.«
Wir sitzen still da.
»Hast du heute geschrieben?«, fragt Johanna.
»Ich schreibe jeden Tag«, sage ich. »So weià ich, wo ich stehe.«
»Ist es gut geworden, was du geschrieben hast?«
»Kann sein.«
»Du weiÃt es nicht?«
»Manchmal weià man es gleich, manchmal erst ein bisschen später.«
»Und jetzt?«
»Ein bisschen später«, sage ich und füge hinzu: »Oder viel später.«
Sie setzt sich und legt mir ihre Beine auf die Knie. Ihre FüÃe sind nackt und die Zehen kalt, obwohl es einer der wärmsten Tage des Sommers gewesen ist. Ich massiere
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